Werte sind was wert

Marktfrau-Tipps für Unternehmer
Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Büchlein Die Philosophie der Marktfrau – Gedanken zur Zukunft des Marketings von Andreas Giger, erschienen bei BOD 2006. (mehr Infos hier) In diesem Büchlein macht sich eine fiktive Marktfrau so ihre Gedanken. Hier stellt sie sich gleich selbst vor:
Gestatten Sie, dass ich mich kurz vorstelle? Mein Name tut hier nichts zur Sache. Auch nicht der Ort, an dem ich wirke, oder mein Alter. Wichtig ist nur, dass ich seit Jahrzehnten dort tätig bin, wo das Zentrum aller Marktwirtschaft liegt: auf einem Gemüsemarkt.
Als Marktfrau habe ich mich immer wohl gefühlt. Das mag auch daran liegen, dass ich bei dieser Tätigkeit immer wieder ungestört meiner Neigung nachgehen konnte, das zu beobachten, was um mich herum vorgeht, und mich dabei zu fragen, was da eigentlich abläuft, worum es geht, was einen Markt im Innersten zusammenhält.
Im zweitletzten Kapitel macht sich die Marktfrau Gedanken über den Wert der Werte:
Wenn ich so über die Geheimnisse der Märkte sinne, taucht immer wieder eine Frage auf: Wie kommt es zu jenem seltsamen Phänomen der Umwandlung von immateriellen in materielle Werte,…?
Findet hier so etwas wie ein alchimistischer Prozess statt, eine Umwandlung von Erz in Gold? Ganz so geheimnisvoll muss die Antwort nicht ausfallen, obwohl das Ganze noch rätselhaft genug ist. Ich glaube, wir finden Hinweise mal wieder am ehesten in der Sprache, und dort in einem Bild, das uns Kaufleuten nahe liegt: Immaterielle und materielle Werte sind die zwei Seiten von ein und derselben Münze namens Wert.
Dieses hübsche kleine Wort verwenden wir ja wirklich völlig ungeniert wild durcheinander. Wenn wir etwa über den allgemeinen Werteverlust klagen, meinen wir immaterielle Werte, bei Wertpapieren dagegen ebenso klar materielle. Für einen Vertrauenszuwachs wäre „Mehrwert“ das falsche Wort, ebenso „Wertewandel“ für die Veränderungen der Zinssätze.
Hier ist es noch klar, doch was meint ein Wort wie wertvoll? Sie wissen doch, ein Ding von geringem materiellen Wert, an dem persönliche Erinnerungen hängen, kann uns so wertvoll sein wie ein anderes, das sehr viel kostet und deshalb wertvoll ist.

Auch Kleines kann wertvoll sein…
Daraus können wir schließen, dass die Maßstäbe dafür, was wertvoll ist, sehr subjektiv sind. Es sind immer Individuen, die entscheiden, was ihnen wertvoll ist, also ihnen etwas bedeutet, etwas wert ist.
Und genau von dieser Entscheidung hängt letztlich das Schicksal von uns Anbietern auf den Märkten ab, also jedenfalls meines: Schaffe ich es, meinen Kunden etwas anzubieten, das ihnen so viel wert ist, dass sie sich die Zeit nehmen, an meinen Stand zu kommen, dass sie Aufmerksamkeit investieren, um meinen Empfehlungen zu lauschen, und dass sie schliesslich ihr Portemonnaie zücken?
Und so investiere ich meinerseits einiges an Zeit und Gehirnschmalz, um immer besser zu verstehen, nach welchen Wertmassstäben meine Kunden – und jene, die es werden könnten – ihre Kaufentscheide fällen. Dabei ist mir, zu meiner allerdings geringen Überraschung, aufgefallen, dass auch das dem Gesetz des Wandels unterliegt.
Mein Marktstand bietet dafür besten Anschauungsunterricht. Gemüse kauft man ja wie jedes Nahrungsmittel zunächst mal, um ein elementares Bedürfnis zu stillen: Hunger. Geld auszugeben, für etwas, was man wirklich braucht, ist die erste Antriebskraft aller Märkte, und war die längste Zeit der Menschheitsgeschichte auch die dominante.
Wenn der gröbste Hunger gestillt ist, melden sich beim Menschen unweigerlich die Wünsche nach mehr Qualität beim Essen. Wir könnten zur Not auch mit Astronautennahrung überleben, brauchen also nicht unbedingt abwechslungsreiches, gesundes, schmackhaftes und erst noch gut aussehendes Essen. Aber wir wünschen es uns heftig und haben deshalb angefangen, es zu kaufen, sobald wir es uns einigermaßen leisten konnten.
Wünsche, nicht Bedürfnisse, waren die Antriebskraft des Wirtschaftsbooms in den Wohlstandsgesellschaften. Aber sie können es nicht ewig bleiben. Der Schwung lässt nach, weil immer mehr Menschen erkennen, dass „immer noch mehr“ in eine Sackgasse führt. Wünsche unterliegen inflationären Tendenzen, was ihren Wert rapide vermindert.
Sicher, man kann sich wünschen, mitten im Winter frischen Spargel zu essen. Manche erfüllen diesen Wunsch – ich nicht. Denn was kommt als nächster Wunsch? Irgendwann wird es absurd…
Was sonst könnte denn die Märkte in Zukunft in Schwung halten? Für mich ist die Frage matchentscheidend, denn bei der sich immer schneller drehenden Wunschspirale kann und will ich nicht mithalten, und satt werden kann man auch ohne Gemüse. Was also ist meinen Kundinnen so viel wert, dass sie zu mir kommen, obwohl das teurer und zeit-aufwändiger ist als der Gemüsekauf im Supermarkt?

Was kommt nach Bedürfnissen und Wünschen?
Direkt, wie ich nun mal bin, habe ich diese Frage einigen meiner Kundinnen gestellt. Natürlich waren die Antworten so individuell wie meine Kundinnen. Manches bezog sich auf mein Angebot an Obst und Gemüse, manches auf das Aussehen meines Standes, wieder anderes auf meine Verpackungen und meine Preise. Meine kleinen Zusatzdienstleistungen wurden erwähnt, auch die Auswahl meiner Aushilfen.
Als bescheidene Marktfrau getraue ich es mich fast nicht zu sagen: Die meisten Aussagen darüber, was meinen Marktstand von anderen, oder von anderen Einkaufsquellen, unterscheide, bezogen sich auf meine Person und auf mein Verhalten. Ich will gar nicht alle Lobeshymnen aufzählen, das würde mich nur erneut erröten lassen, und das, obwohl ich meinen Wert an sich durchaus kenne.
Doch die Formulierung einer Kundin fasst die Äusserungen der anderen vielleicht ganz schön zusammen. Sie sagte zu mir: »Sie verkörpern alle Werte, die mir an einem Marktpartner wichtig sind.«
Seither weiss ich, dass Werte was wert sind – gerade auch im Marketing. Nur jene werden auf den Märkten überleben, welche die Werte verkörpern, die den Kunden wichtig sind. Dazu habe ich kürzlich gelesen: »Dabei werden altvertraute Werte in neuem Bedeutungszusammenhang steile Karriere machen: Liebe. Treue. Freundschaft. Reife. Lebensqualität. Weisheit.«
Da fällt mir noch eine Antwort auf meine Frage nach meinem Profil ein. Eine Kundin erzählte: »Angeregt durch eine Umfrage führe ich jetzt immer eine kleine Buchhaltung darüber, was meine Lebensqualität verbessert, und was sie vermindert. Sie sind ein klarer Aktivposten, einkaufen bei Ihnen erhöht meine Lebensqualität.« Das meine ich, wenn ich von Wertschöpfung durch Werte rede.
Werte als Schlüssel zum Markterfolg
Eine Studie bei Schweizer Familienunternehmen, für die spirit.ch die Projektleitung übernehmen durfte, bestätigt übrigens, dass die Gattung Familienunternehmen verstärkt erkennt, dass ihre Werteorientierung zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil wird. Sobald die Ergebnisse dieser Studie publiziert sind, erfahren Sie es auf spirit.ch.