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Von Thailand und anderen Abenteuern

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Zwischen Eigenverantwortung und Solidarität

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Gelebte Werte: René Künzli und die terzStiftung

Im Laufe seines mittlerweile vierundsiebzigjährigen Lebens haben Werte für René Künzli immer eine wichtige Rolle gespielt. Dabei hat er gelernt, die Spannungsfelder zwischen scheinbar widersprüchlichen Werten kreativ und produktiv zu nutzen.

Als „Vollblutunternehmer in der Sparte Altersarbeit“ wurde er vor ein paar Jahren in einer Laudation gewürdigt. Es liegt also nahe, dass wir uns im lauschigen Hof der Seniorenresidenz „Vita Tertia“ in Gossau SG zum Gespräch treffen. René Künzli ist Stiftungsratspräsident dieser Institution, in deren Leitbild übrigens der bemerkenswerte Satz steht: »Hinter unserer Werte-Basis steckt eine tief verwurzelte und in der Alltagspraxis erprobte Überzeugung: Nut gelebte Werte schaffen Wertschöpfung.«

Dass René Künzli seine Werte im Umgang mit anderen Menschen immer gelebt hat, sieht der Beobachter an der Herzlichkeit, mit der er zufällig vorbei gehenden Gästen und Mitarbeitenden von VitaTertia begegnet – und mit der sie ihm begegnen. Es ist offensichtlich, dass hier dem Anspruch, individuelle Lebens- und Wohnqualität zu bieten, auch vom obersten Chef nachgelebt wird.

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Zwischen Eigenverantwortung und Solidarität

Im Jahr 1970 übernahm René Künzli von seinen Eltern die Leitung des 1950 gegründeten Alters- und Pflegeheims „Neutal“ in Berlingen (Thurgau). Ab 1987 bis 2005 baute er zusätzlich die TERTIANMUM-Gruppe weiter auf und aus, zuerst als Mitglied der Geschäftsleitung und in den letzten sieben Jahren als Mitglied der Geschäftsleitung. Zu dieser Gruppe gehören mittlerweile zwei Dutzend Seniorenresidenzen.

Nach seinem Rückzug gründete Künzli 2007 zusammen mit seiner Frau Silvia die terzStiftung. Dies will nach eigenen Angaben Mut zur Eigeninitiative und zur Eigenverantwortung gerade bei älteren Menschen machen. Möglichst grosse Selbständigkeit bis ins möglichst hohe Alter zu ermöglichen, ist das Ziel der konkreten Tätigkeit der terzStiftung sowie der von ihr vertretenen Alterspolitik.

Eher überraschend tauchen aber weder Selbständigkeit noch Eigenverantwortung in der Liste der drei wichtigsten Werte in seinem Leben auf, nach denen ich ihn frage. Vielmehr nennt er in dieser Reihenfolge Liebe, Verlässlichkeit und Solidarität. Er sei sehr für Eigeninitiative, fügt René Künzli hinzu, doch für Menschen, die dazu nicht ausreichend in der Lage seien, brauche es solidarisches Handeln.

Zwischen den Werten Eigenverantwortung und Solidarität besteht ein Widerspruch oder auf jeden Fall ein Spannungsfeld. So ist das mit den Werten: Nicht alle zielen in dieselbe Richtung, zwischen manchen Werten gibt es vielmehr ein spannungsvolles Verhältnis. Dieses Phänomen – und wie man damit umgehen kann – illustriert besser als jede tiefschürfende theoretische Werte-Diskussion ein aktuelles Projekt der terzStiftung, das René Künzli derzeit stark beschäftigt.

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René Künzli im Gespräch mit Markus Christen, Leiter VitaTertia

Anschauungsfall Treppensicherheit

Eigentlich ist er ja ein der Wolle gefärbter Liberaler. Viele Jahre lang hat er die Freisinnigen im Thurgauer Kantonsrat vertreten, aktuell sitzt in der kantonalen Parteileitung als Vertreter der Gruppe „top sixty“, die sich für eine neue Alterspolitik engagiert und notabene ausdrücklich auch für Nichtparteimitglieder offen ist.

Als Liberaler setzt er auf Eigenverantwortung und ist skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen, welche die Wirtschafts- und Bürgerfreiheit unnötig einschränken. Doch jetzt ist René Künzli angesichts der Erfahrungen mit seinem Projekt „Treppensicherheit“ nachdenklich geworden.

Das Projekt hat einen traurigen realen Hintergrund: In der Schweiz sterben im Strassenverkehr jährlich etwa 300 Menschen an den Folgen eines Unfalls. Fast fünfmal mehr Menschen sind es, die an den Folgen einer Sturzverletzung im häuslichen Umfeld zu Tode kommen. Ein grosser, wenn auch nicht exakt zu beziffernder Teil dieser tödlichen Stürze erfolgt auf Treppen.

Im Strassenverkehr wurde und wird viel getan, um die Zahl der Unfälle zu reduzieren, unter anderem durch Investitionen in eine sicherere Infrastruktur. An unübersichtlichen Kreuzungen werden Sichthindernisse entfernt, unbewachte Bahnübergänge werden durch solche mit Schranken ersetzt – immer in der sicher richtigen Annahme, eine sichere Infrastruktur könne das Unfallrisiko reduzieren.

Überträgt man diese Annahme auf die Sturzunfälle, kommt man logisch zum Schluss, dass auch sicherere Treppen zu weniger Unfällen und Opfern führen könnte, ja müsste. Und mit der Treppensicherheit ist es tatsächlich nicht zum Besten bestellt, wie eine Eigenstudie der terzStiftung ergab, die als Pilotprojekt in der Stadt Zug durchgeführt wurde. Eine von gut geschulten terzExperten durchgeführte Bestandsaufnahme der öffentlich zugänglichen Treppen ergab beträchtliche Mängel.

Diese Mängel konzentrieren sich im Wesentlichen auf zwei Punkte: Zum einen sind oft die Stufenkanten farblich zu wenig abgesetzt, vor allem bei der obersten und der untersten Stufe. Zum anderen sind die Handläufe der Treppen oft suboptimal oder fehlen ganz.

Verglichen mit unsicheren Strassen handelt es sich also um bescheidene Mängel, und ebenso bescheiden wären die Summen, die es braucht, um solche Mängel zu beheben. Würde man sie beheben, führte das jedoch zu einer beträchtlichen Zunahme der Treppensicherheit, womit so mancher unnötige Treppensturz vermieden werden könnte.

Appelle verhallen ungehört

Vermutlich, so vermutete man bei der terzStiftung, wissen die für die mangelhaften Treppen Verantwortlichen gar nichts von diesen Mängeln. Macht man sie darauf aufmerksam, werden sie sicher dankbar die Gelegenheit ergreifen, mit bescheidenem Aufwand ihre Treppen sicherer zu machen und so einen Beitrag zur öffentlichen Sicherheit zu leisten. In Freiheit und Eigenverantwortung, wie es gutem schweizerischen Denken entspricht.

Diese Annahme erwies sich als naiv. Die von der terzStiftung mit grossem Aufwand eruierten und über die Mängel informierten Treppen-Verantwortlichen wiegelten entweder ab oder reagierten zum grössten Teil erst gar nicht. Und auch die zuständigen Politiker liessen den ihnen durch den Treppentest so präzise zugespielten Ball ohne Reaktion über die Seitenlinie kullern.

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René Künzli sieht für dieses enttäuschende Ergebnis zwei Ursachen. Einerseits haben die Sturzopfer, anders als Auto- oder Velofahrer, ja selbst Fussgänger im Strassenverkehr, keine Lobby, die ihre Interessen vertritt. Andererseits neigen die Opfer von Stürzen dazu, die Verantwortung für ihren Sturz ausschliesslich bei sich selbst zu suchen: Ich war eben nicht aufmerksam genug.

Auch im Strassenverkehr ist ein Grossteil der Unfälle auf mangelnde Aufmerksamkeit irgendeines Verkehrsteilnehmers zurückzuführen, doch dort sucht man Verantwortung und Schuld viel stärker ausserhalb seiner selbst als bei Sturzunfällen. Entsprechend grosszügig werden Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit finanziert, etwa durch Investitionen in eine sicherere Infrastruktur.

Dass dasselbe nicht auch für sicherere Treppen gilt, widerspricht René Künzlis Sinn für Gerechtigkeit. Entsprechend will und wird er alles tun, diesen unbefriedigenden Zustand zu ändern, Nur wie?

Der Appell an die Eigenverantwortung der Treppenverantwortlichen verhallt offensichtlich ins Leere. Findige Juristen haben ihn auf die Möglichkeit von Haftungsklagen aufmerksam gemacht: Ein Sturzopfer könnte bei Sicherheitsmängeln der betreffenden Treppe die dafür Verantwortlichen auf Schadensersatz verklagen.

Muss das Kind erst in den Brunnen fallen?

Das wäre der liberale Weg. Doch der ist diesem Fall für René Künzli unbefriedigend: Muss es wirklich erst Sturzopfer geben, ehe etwas passiert? Und selbst wenn sich jemand Schmerzensgeld erstreitet, ist damit die fehlerhafte Treppe noch nicht saniert. Vom menschlichen Leid und finanziellem Schaden, die mit jedem schweren Sturz verbunden sind, ganz zu schweigen.

Prävention als Akt der Solidarität mit potenziellen Sturzopfern, die übrigens in allen Generationen zu finden sind, wäre eindeutig besser. Klare Vorschriften darüber, wie eine sichere Treppe auszusehen hat, gibt es in Form von einschlägigen SIA-Normen längst, aber offensichtlich keine Handhabe, diese auch verbindlich durchzusetzen, samt möglicher Sanktionen im Verweigerungsfall.

Braucht es also doch ein neues Gesetz, einen staatlichen Eingriff? Noch ist sich René Künzli unschlüssig. Wie jeder aufgeklärte Liberale erhofft er insgeheim, dass sich am Ende doch die Vernunft durchsetzen wird. Deshalb wird er zusammen mit seinem Team weiter Fakten und Argumente sammeln, die zu einer Verbesserung der Treppensicherheit beitragen können – und damit zur Vermeidung unnötigen menschlichen Leids und vermeidbarer Kosten.

Ruhestand ist ohnehin nichts für ihn. Und so wird er weiterhin seine Werte leben und dabei das Spannungsfeld zwischen Eigenverantwortung und Solidarität kreativ und pragmatisch nutzen.

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