Klartext

Wertvolle Impulse nicht nur zum Jahreswechsel
Zugegeben, sie klingt drastisch, die Inschrift am Schwabentor am östlichen Rand der Altstadt von Schaffhausen: Lappi, tue d’Augen uf – Dummkopf, mach die Augen auf! Andererseits kann man sie auch als Klartext verstehen, der unmissverständlich dazu auffordert, für grösstmögliche Klarheit zu sorgen.
Aus Erfahrung wissen wir, dass es im Leben Situationen gibt, in denen wir lernen müssen, mit Unklarheiten zu leben. Nicht so im Umgang mit Menschen, also mit uns selbst und mit anderen. Dabei ist Klarheit ein erstrebenswertes Ziel.
Es gibt verschiedene Wege, Klarheit über einen Menschen zu gewinnen. Viele achten etwa auf die äussere Erscheinung. Doch weil diese ein vergängliches Gut ist, zählen letztlich doch die inneren Werte. Und das ist wörtlich zu nehmen: Wenn wir die Werte eines Menschen kennen, also das, was ihm etwas wert, was ihm wichtig ist, dann haben wir schon ein ziemlich klares Bild dieses Menschen.
Innere und äussere Welt verhalten sich dabei wie so oft spiegelbildlich: Nur wer sich selbst respektiert, kann andere respektieren. Und nur wer die eigenen Werte respektiert, kann jene der anderen respektieren.
Vor das Respektieren haben die Gottheiten die klare Erkenntnis gesetzt. Schon in der Kultur der alten Griechen gab es eine klare Maxime: Erkenne Dich selbst! Selbsterkenntnis wiederum ist undenkbar ohne ein gut entwickeltes Bewusstsein für die eigenen Werte. Nur, wenn ich weiss, worum es mir in meinem eigenen Leben wirklich geht, vermeide ich es, nicht authentischen und möglicherweise von aussen aufgepfropften Werten nachzulaufen und mich so unglücklich zu machen.
Auch im Umgang mit anderen Menschen ist es hilfreich, deren Werte zu kennen. Nur, wenn beide Seiten wissen, worum es der anderen geht, was ihr wichtig ist, lassen sich unnötige Konflikte vermeiden. Man muss die gegenseitigen Werte nicht teilen, es genügt sie zu respektieren, doch auch dafür muss man sie erst einmal kennen.
Das gilt auch und ganz besonders für die Beziehungen zwischen einem Unternehmen und dessen Mitarbeitenden, Kunden und anderen Bezugsgruppen. Ein Unternehmen, das die Werte der Mitarbeitenden oder Kunden nicht respektiert, weil es diese Werte nicht einmal kennt, wird kaum nachhaltigen Erfolg haben.
Ein einmaliges klares Bild von den eigenen Werten und den Werten der anderen genügt allerdings nicht. Werte gehören zwar zu den stabilsten menschlichen Orientierungssystemen, doch auch sie bleiben nicht auf ewig gleich. Persönlich stellen wir fest, dass sich unsere Werte im Laufe eines Reifungsprozesses verändern, und gesellschaftlich können wir ebenfalls einen Werte-Wandel konstatieren, etwa die Akzentverschiebung vom Lebensstandard zur Lebensqualität. Ein klares Bild von einer Werte-Landschaft verlangt also nach einer gelegentlichen Auffrischung.
Die Auseinandersetzung mit Werten ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Königspfad hin zu einer klareren Erkenntnis von Menschen. Es dürfte ruhig noch mehr geben, denen dies klar ist, vor allem bei den Verantwortlichen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Werte nur in hübsche Sonntagsreden einzubauen, genügt nicht, es braucht schon eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema Werte, sei es im Spiegelbild oder beim Blick nach draussen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese klare Erkenntnis allmählich durchsetzt.
Denn wer beim Umgang mit sich selbst und mit anderen auf Werte setzt, sorgt für grössere Klarheit. Und erfüllt damit das in der Botschaft vom Schwabentor versteckte Versprechen: Wer die Augen aufmacht, ist kein Lappi mehr…