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Von Thailand und anderen Abenteuern

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Kolumne „Wertvolle Werte“

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Die Werte-Kolumne auf der spirit-Seite der Appenzeller Zeitung

Auf der ungefähr alle drei Wochen erscheinenden Spezialseite der Appenzeller Zeitung namens „spirit“, auf der kürzlich auch die Stiftung spirit.ch vorgestellt wurde, erscheint jedes Mal eine Werte-Kolumne aus der Feder von spirit-ch-Mitbegründer Andreas Giger. Die Serie startete am 14. Januar 2012 mit diesem Beitrag.(Weitere Kolumnen siehe unten)

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Wertvolle Werte…

Von Werten reden viele, doch längst nicht alle meinen damit dasselbe. Das Spektrum der Bedeutungen von „Wert“ reicht dabei von ethischen Grundsätzen (z.B. „christliche Werte“) bis hin zu rein materiellen Werten, wie sie etwa im „Wertpapier“ zum Ausdruck kommen. Eine Kolumne über solche „Wert-Anlagen“ hätte auf der Seite „spirit“ natürlich nichts zu suchen…

Man kann Werte jedoch auch ganz einfach und pragmatisch als das definieren, was uns etwas wert ist. Werte drücken dann das aus, was uns wichtig ist im Leben, wonach wir streben, woran wir uns orientieren. Werte beeinflussen unser Handeln – nicht allein natürlich, aber ganz wesentlich.

Damit sind Werte ein zentrales Element dessen, was wir im umfassenden Sinn „Bewusstsein“ nennen. Dazu gehören unsere Wahrnehmungen und Empfindungen, unser Denken und Fühlen auf „bewusster“ wie auf „unbewusster“ Ebene, und zwar nicht nur innerhalb der Grenzen unseres hautverkapselten Egos, sondern immer auch in Verbindung zur uns umgebenden Welt.

Das schöne Wort „Geist“ drückt, wenn man es nicht auf logisches Denken beschränkt, Ähnliches aus wie „Bewusstsein“; und noch besser passt zu diesem umfassenden Verständnis unseres Innenlebens das englische Wort „spirit“. Denn „spirit“ meint eben keineswegs nur das Spirituelle, sondern hat ein breites Spektrum von Bedeutungen, vom Heiligen Geist bis hin zu geistigen Getränken.

In einem solchen Verständnis von „spirit“ nehmen Werte einen zentralen Platz ein. Sie geben uns nicht nur Orientierung (Wohin gehe ich? In Richtung meiner Werte!), sondern auch Identität (Wer bin ich? Die Summe meiner Werte!) und Sinn (Wozu bin ich da? Um meine Werte zu leben!).

Anders als früher können (und müssen) wir unsere Werte heut zu Tage frei wählen. Von der richtigen Wahl unserer Werte hängt es entscheidend ab, ob wir ein geglücktes Leben führen. Es lohnt sich deshalb, immer mal wieder inne zu halten und über die eigenen Werte nachzudenken. Impulse dafür will diese Kolumne regelmässig anbieten.


Kolumne 2, 4. Februar 2012:

»Respekt, Respekt!« sagen wir, wenn wir ob der Leistung eines Anderen anerkennend den Hut ziehen und ihm so unsere Wertschätzung ausdrücken. Womit wir einem weiteren Geheimnis der Werte auf die Spur gekommen sind: Werte leiten nicht nur unser persönliches Verhalten an, sie bestimmen vielmehr ganz wesentlich auch unser Miteinander, im kleinen Kreis der Familie ebenso wie im grossen eines Landes.

Ein guter Team-Spirit etwa beruht immer auf geteilten Werten, und wie es sich in einem Land lebt, hängt stark davon ab, welche Werte dort vorherrschen. Besonders gut lebt es sich sicher in einer Gemeinschaft, die auf gegenseitigem Respekt basiert.

Respektvolles Miteinander bedeutet dreierlei: Zunächst heisst Respekt Begegnung und Dialog auf gleicher Augenhöhe. Keiner der Beteiligten ist von vornherein besser oder schlechter, niemand ist mehr oder weniger wert als der Andere. Die beteiligten Partner sind nicht gleich, aber gleichwertig.

Zum zweiten gehört zu respektvollem Miteinander die Bereitschaft, sein Gegenüber wahrzunehmen und ihm zuzuhören. Jemandem sein Ohr leihen kann man nur in der Überzeugung, auch er hätte etwas zu sagen. Und zwar etwas, das nicht sofort als überflüssig, dumm oder gar vaterlandsverräterisch abgestempelt wird.

Zum dritten heisst Respekt: Die Beteiligten gestehen sich gegenseitig zu und vertrauen darauf, dass alle Argumente und Interessen einen wertvollen Beitrag an das Ganze leisten können. Dieses Ganze ist ja immer ein hoch komplexes System aus vielfältigen Beziehungen und Zusammenhängen. Mit einer einseitigen Betrachtungsweise wird man einem komplexen Ganzen nie gerecht, und wenn man darin zu stark auf einseitige Interessen setzt, gefährdet man Fortbestand und Weiterentwicklung des Ganzen.

Respektvolles Miteinander erfordert ein hohes Mass an Reife. Doch weil das Leben in einer Welt gegenseitigen Respekts sehr viel angenehmer und schöner ist als in einer Welt, die von Intoleranz, Überheblichkeit und Ausgrenzung geprägt ist, lohnen sich die Anstrengungen dieses Reifungsprozesses.

Man muss den Standpunkt des Anderen nicht teilen oder übernehmen und kann trotzdem anerkennen, dass dieser andere Standpunkt so legitim und so wertvoll für das Ganze sein kann wie der eigene. Dialog, Austausch und die Suche nach gemeinsamen Lösungen sind somit kein Ausdruck von Schwäche, sondern zeugen im Gegenteil von reifer Stärke. Wozu man wiederum nur sagen kann: Respekt, Respekt!


Kolumne 3, 25. Februar 2012

In den individuellen Werte-Landschaften gibt es Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Unterschiedliche Werte liegen nicht zwangsläufig im Konflikt miteinander, sondern sie leisten alle ihren spezifischen Beitrag zu einem ihnen gemeinsamen Leit-Wert.

Diesen „Leit-Wert“ stellen ich mir nicht als allmächtigen General vor, der von oben her alle anderen Werte beherrscht, sondern eher als Himmelskörper im Zentrum, um den herum die verschiedenen Werte-Planeten ihre je eigene Bahn ziehen – angezogen und zusammengehalten von der Sonne im Zentrum.

Das ist es, was ich mit dem zunächst etwas seltsam anmutenden Begriff „Leit-Wert“ meine: ein Zentralgestirn im Zentrum eines Werte-Universums. Oder, um ein anderes Bild zu verwenden: Der Leit-Wert ist das gemeinsame Dach eines grossen Gebäudes, in dem die einzelnen Werte die Räume und Zimmer darstellen. Die Zimmer behalten ihre Eigenständigkeit, das gemeinsame Dach verbindet sie.

Was nun könnte dieser Leit-Wert sein? Die Messlatte liegt hoch: Der Leit-Wert muss eine überzeugende Antwort auf die Frage geben, worum es im Leben eigentlich geht. Er muss viele Facetten haben, um ein gemeinsames Dach über sehr unterschiedliche einzelne Werte bilden zu können. Und er muss dem Werte-Wandel vom Geld zum Geist, von Quantität zu Qualität entsprechen.

Aufgrund langjährigen Forschens und Denkens gibt es für mich nur eine überzeugende Kandidatin für das Amt des Leit-Werts: Lebensqualität. Immer mehr Menschen erkennen, dass es im Leben nicht um Lebensstandard geht, sondern eben um Lebensqualität, also um Qualität statt Quantität.

Auch die Forderung nach vielen Facetten erfüllt dieser Leit-Wert. Schon nach kurzem Nachdenken über die eigene Lebensqualität zeigt sich, dass diese bunt und vielschichtig ist und viele Facetten hat.

Doch ist Lebensqualität nicht ein zu ichbezogener Wer? Eine vertiefte Beschäftigung mit Lebensqualität liefert schnell Entwarnung: Es gibt keine eigene Lebensqualität ohne die der anderen. Lebensqualität ist auch ein gemeinsames Projekt.

Ja, die Beschäftigung mit Lebensqualität fördert das, was wir als ganzheitliches Denken bezeichnen, bei dem wir gegenseitige Vernetzungen und Abhängigkeiten berücksichtigen und dabei alle Ebenen, die ökologische, die ökonomische, die  soziale und die kulturelle im Auge behalten. Ein anderes Wort für diese Betrachtungsweise ist Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit bedeutet neben Ganzheitlichkeit auch eine langfristige Perspektive. Auch das gehört dazu: die langfristigen Konsequenzen heutiger Entscheidungen höher zu gewichten als kurzfristige Interessen. Aus diesen Gründen spreche ich bewusst vom Leit-Wert „Nachhaltige Lebensqualität“.


Kolumne 4, 17. März 2012

Kein Mensch kann ohne gesundes Selbstbewusstsein erspriesslich mit sich selbst und mit anderen umgehen. Diese Symmetrie zwischen dem Verhältnis zu sich selbst und zu den anderen finden wir schon in der Bibel, wo es heisst, man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst.

Wer sich selbst nicht mag und respektiert, kann diese positiven Gefühle auch nicht für andere empfinden. Sich selbst mögen und respektieren kann man nur, wenn man um den eigenen Wert weiss. Daraus erwächst Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.

Selbstbewusstsein ist keine absolute Grösse. Wir können mehr oder weniger davon haben. Und damit eben auch zu wenig oder zu viel. Gesundes Selbstbewusstsein ist eine Frage des richtigen Masses. Gerade im Falle des Selbstbewusstseins ist das oft eine feine Linie, ein schmaler Grat. Wird diese Balance verlassen, kippt die Sache schnell ins Krankhafte: Menschen mit zu wenig Selbstbewusstsein leiden unter Minderwertigkeitskomplexen, Menschen mit zu viel davon unter Grössenwahn.

Gesundes Selbstbewusstsein dagegen wirkt äusserst attraktiv und ist deshalb ein erstrebenswerter Wert. Womit sich die Frage stellt, wie man ein solches gesundes Selbstbewusstsein erwirbt.

Die Antwort liegt in einem einfachen Bindestrich: Gesundes Selbstbewusstsein erwächst aus klarem Selbst-Bewusstsein, das heisst, aus dem Bewusstsein seiner selbst. Um es noch klarer zu formulieren: Selbstbewusstsein ist die Frucht von Selbsterkenntnis.

Im Verlaufe unserer Reifung lernen wir, den Blick auf uns selbst zunehmend zu objektivieren, sodass wir unsere hellen und dunklen Seiten erkennen können, unsere Stärken und Schwächen, unsere Möglichkeiten und Grenzen. Und wo wir dabei unvermeidliche blinde Flecken haben, helfen uns die Anderen mit ihrem Blick auf uns: Wie andere uns sehen, kann ein entscheidender Beitrag zur Selbsterkenntnis sein.

Natürlich geht die gemeinschaftliche Entwicklung von Selbst-Bewusstsein nicht ohne Austausch und Dialog im Geiste des respektvollen Miteinanders. Und dieser Dialog ist nicht denkbar ohne Akteure mit einem gesunden Selbstbewusstsein, die den Wert der eigenen Sichtweise kennen, ohne deshalb die Sichtweise der Anderen abwerten zu müssen. Nur mit solchen Akteuren entsteht ein Austausch auf Augenhöhe, in dem die unterschiedlichen Sichtweisen der anderen als Bereicherung wahrgenommen werden und der Wert jedes einzelnen Beitrags für das Ganze geschätzt wird.

Ein realistisches Selbst-Bewusstsein ist die Voraussetzung für ein gesundes Selbstbewusstsein, das sich nicht kleiner macht, als wir sind, aber auch jede Form von Überheblichkeit vermeidet. Ein solches gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, ist eine Reife Leistung. Und eine, die sich lohnt…


Kolumne 5, 7. April 2012

Die amerikanische Verfassung benennt als eines der wichtigsten Staatsziele, das „Streben nach Glück“ zu ermöglichen. Der europäische Skeptiker Sigmund Freud dagegen bezweifelt, dass menschliches Glück in der Schöpfung vorgesehen sei. Der kleine Himalaja-Staat Bhutan ergänzt das BIP, also das Bruttoinlandsprodukt als Massstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes, durch ein so genanntes „Bruttoglücksprodukt“.

Die Frage ist nur: Kann der oberste Massstab wirklich sein, wie glücklich wir sind? Das ist ein sehr hoher Anspruch. Glück ist bekanntlich eine launische Göttin, das heisst, ob sie ihr Füllhorn über uns ausschüttet, entscheidet sie und nicht wir. Und Glück ist ein flüchtiger Zustand, den wir zwar liebend gerne konservieren würden (»Denn jede Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit.« – Friedrich Nietzsche), von dem wir aber auch wissen, dass er unmöglich haltbar ist. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, einem solchen unerrefchbaren Ziel wie dauerhaftem Glück hinterher zu hecheln.

Ein realistischeres Ziel ist Zufriedenheit. Dauerhafte Zufriedenheit ist nämlich durchaus denkbar und möglich. Und noch einen grossen Vorteil hat Zufriedenheit gegenüber Glück: Wir können sie in starkem Masse selber beeinflussen. Zufriedenheit ist nämlich nichts anderes als der Abstand zwischen unseren Erwartungen und der Realität: Je geringer dieser Abstand, desto höher unsere Zufriedenheit. Die Realität nun können wir nur bedingt beeinflussen, bei der Wahl unseres Erwartungsniveaus sind wir dagegen frei. Wenn wir also unrealistisch hohe Erwartungen auf ein vernünftig.es Mass reduzieren, steigt damit unsere Zufriedenheit von selbst.

Ein weiterer unsere Zufriedenheit fördernder Wert ist Dankbarkeit. Diese Dankbarkeit beruht auf einer tiefen Erkenntnis: Alles, was uns im Leben gelingt, verdanken wir einer Mischung aus Eigenleistung und Gnade. Wer der „Absender“ dieser Gnade ist, spielt dabei keine Rolle, wir können ihn Zufall nennen, oder Schicksal, oder Gott. Entscheidend ist einzig die Einsicht, dass wir im Leben Geschenke erhalten, die wir uns nicht verdient haben, deren wir uns jedoch würdig erweisen können.

Dankbarkeit verstärkt und vertieft unsere Zufriedenheit. Gründe für dankbare Zufriedenheit gibt es in jedem Leben genug. Man muss sie nur sehen. Und zufrieden sein wollen. Dankbare Zufriedenheit mag auf den ersten Blick als unscheinbarer Wert erscheinen, verglichen etwa mit stolzem Glück. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich dankbare Zufriedenheit als Wert von unschätzbarem Wert.


Kolumne 6, 28. April 2012

Schon bei ganz jungen Sprösslingen alter Adelshäuser findet sich manchmal eine Grundhaltung souveräner Gelassenheit, basierend auf der Gewissheit, eine lange Tradition zu verkörpern, und damit auch ein Wertesys­tem, das aussergewöhnliche Privilegien ebenso beinhaltet wie aussergewöhnliche Pflichten.

Auch wir Normalsterblichen, denen diese souveräne Gelassenheit nicht in die Wiege gelegt wurde, können sie erwerben, als Frucht eines Reifungsprozesses, in dessen Verlauf wir zu uns selbst kommen. Wir können lernen herauszufinden, was uns gut tut und was nicht, und was wir wirklich wollen. Wir lernen unsere Stärken und unsere Schwächen kennen und erkennen immer mehr, welche Mischung von Talenten und Erfahrungen, von Siegen und Niederlagen, von Grenzen und deren Überwindung, uns zu dem gemacht hat, was wir sind: einzigartige und unverwechselbare menschliche Wesen.

Immer weniger müssen wir anderen Menschen etwas beweisen oder vormachen – und schon gar nicht uns selbst. Es schält sich allmählich der echte, der authentische Mensch in uns heraus, den wir bei all seinen Macken und Fehlern voll und ganz bejahen können. Nur ein solcher Mensch kann Souveränität empfinden und ausstrahlen.

Souveränität ist also lernbar – und desgleichen Gelassenheit. Gelassenheit stellt sich ein, wenn wir auf einen langen Erfahrungsweg zurückblicken können. Auf diesem Weg haben wir gelernt, wie es geht, sodass wir jetzt sicher sein können, dass wir auch das nächste Mal dazu fähig sein werden. Wir haben schwierige Herausfor­derungen gemeistert und daraus das Vertrauen entwickelt, dass das auch das nächste Mal klappen wird.

Souverän und gelassen zu sein ist gleichbedeutend mit „in sich selbst ruhen“. Nun ist dieses Bild leicht missver­ständlich, denn es geht dabei nicht um Ruhe im Sinne von Stillstand. Gerade Menschen, die in sich ruhen, wissen um das stetige Auf und Ab im Leben, sind sich bewusst, dass der Wandel die einzige Konstante ist. Entsprechend klammern sie sich nicht an Überholtes, sondern sind bereit, loszulassen und weiterzugehen.

Und, so paradox es klingen mag: In sich ruhen bedeutet immer auch zugleich einen Schritt neben sich zu stehen. Also sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, sich aus einer gewissen Distanz betrachten zu können – und zwar mit einem Augenzwinkern. Dieser kleine Abstand zu sich selbst ist die Voraussetzung für eine nicht einfache Aufgabe der Reifung, nämlich sich mit sich selbst versöhnen zu können, was wiederum unerlässlich ist für Souveränität, Gelassenheit und innere Ruhe.


Kolumne 7, 19. Mai 2012

Im Verhältnis eines Landes zur Völkergemeinschaft spielen wie im Verhältnis eines Menschen zu der ihn umgebenden Gemeinschaft Grenzen eine wichtige Rolle. Dabei haben Grenzen immer eine doppelte Funktion: Sie sind einerseits dazu da, um abzugrenzen, und anderseits, um sie zu überschreiten.

Wenn ein Mensch sich gegenüber anderen nicht richtig abgrenzen kann, läuft er Gefahr, sich zu verlieren. Und wenn er sich zu sehr abgrenzt, wird er untauglich für das Leben in der Gemeinschaft. Einmal mehr haben wir es also mit Balance und richtigem Mass zu tun. Und das ist das Gegenteil vom Denken in zwei sich ausschliessenden Alternativen. Diese geistige Platzangst ist natürlich blanker Unsinn: In unserem Geist ist reichlich Platz vorhanden, sodass wir dort auch zunächst unvereinbare Ideen gleichzeitig unterbringen können.

Zum Beispiel die Werte der Selbstbehauptung und der Offenheit. Wer gelassen und souverän in sich selbst ruht, hat die besten Voraussetzungen, um offen auf andere zugehen zu können.

Auch von einem gereiften Baum können wir lernen, dass sich Standfestigkeit und Offenheit nicht nur nicht ausschliessen, sondern sich sogar gegenseitig bedingen: Nur Bäume, die fest im Erdreich verwurzelt sind, können in den Himmel wachsen. Und nur wenn sie offen dem Himmel zu wachsen, gewinnen sie genug neue Energie, um ihre Wurzeln zu stärken.

Wurzeln im eigenen Land zu haben, ist also sinnvoll und nützlich. Etwas Eigenes, ja Einzigartiges zu sein und zu haben, ist nämlich ein elementarer Bestandteil von Identität. Kritisch wird dieses Gefühl von Einzigartigkeit erst, wenn wir uns als einzigen Sonderfall betrachten, denn das macht überheblich. Die Welt ist voll von Sonderfällen, von denen keiner den Anspruch erheben kann, der einzige zu sein.

Ein reifer Mensch hat gelernt, auf verschiedenen Hochzeiten zu tanzen. Er kann umgehen mit Komplexitäten, mit Uneindeutigkeiten und Widersprüchen. Er weiss, dass die Welt selten aus simplem Schwarz-Weiss besteht, sondern aus Grautönen und Farben. Er misstraut simplen Entweder-oder-Fragen und zieht ein entschiedenes Sowohl-als-auch vor. Deshalb wird er sich weder im Eigenen einigeln noch sich irgendjemandem unter Preisgabe des Eigenen an den Hals schmeissen. Er hat beides nicht nötig, weil er sowohl stolz auf das Eigene ist als auch weiss, dass dieses ohne intensiven Austausch mit der Welt keine Überlebenschance hat. In einer Welt enger gegenseitiger Verflechtungen und Abhängigkeiten vertrocknet sehr schnell, wer seine Grenzen abschottet.


Kolumne 8, 9. Juni 2012

In den letzten Jahrzehnten hat eine neue Form der Konfliktlösung einen erstaunlichen Siegeszug um die Welt angetreten: die Mediation. Im Vergleich zu herkömmlichen Methoden wie den Verfahren vor einem normalen Gericht oder einem Schiedsgericht fällt ein zentraler Unterschied auf: Keine externe Instanz diktiert eine Lösung, sondern eine solche kann nur von allen beteiligten Konfliktparteien gemeinsam gefunden werden. Wohl werden sie dabei von einer Mediatorin oder einem Mediator unterstützt, doch was diese Person inhaltlich über den Konflikt denkt, ist völlig irrelevant, entscheidend ist allein der von den Parteien erzielte Ausgleich der Interessen.

Dafür gibt die Mediation bestimmte Spielregeln vor, die ihrerseits wiederum auf bestimmten sozialen Tugenden und Kompetenzen beruhen, also auf Werten wie Toleranz, Respekt, Einfühlungsvermögen und auch Solidarität. Man hört der Gegenseite zu, hat den nötigen Respekt vor abweichenden Standpunkten und unterstellt den anderen keine bösen Absichten. Das schafft den nötigen Freiraum, um von den eigenen Maximalforderungen abzurücken und der Gegenseite einen Schritt entgegenzukommen. Und es schafft ein Klima der Kreativität, aus dem Lösungen wachsen können, die nicht nach dem Prinzip des faulen Kompromisses Unglück und Unzufriedenheit gleichmässig verteilen. Vielmehr schaffen sie Zufriedenheit und fördern die Akzeptanz der Lösung und der anderen, denen man auch danach noch ruhig in die Augen blicken kann.

Zum Glück spitzen sich nicht alle Konflikte so zu, dass zu ihrer Lösung eine externe Mediationsperson gebraucht wird. Doch die in der Mediation gebrauchten sozialen Kompetenzen und Tugenden sind auch im direkten Umgang miteinander höchst hilfreich und befriedigend. Um sie zu erlernen und zu erwerben, kann man nicht früh genug anfangen, sie sind Teil dessen, was man so schön „Kinderstube“ nennt. Doch es ist auch nie zu spät, sie zu hegen und zu pflegen.

Wenn die Evolution (oder wer auch immer) gewollt hätte, dass wir alle genau gleich sind, wozu hätte sie dann so etwas wie einzigartige und unverwechselbare Fingerabdrücke erfunden? Schliesslich gibt es schon bei einfachen Tierarten eindeutige individuelle Unterschiede, und bei uns Menschen hat diese Entwicklung einen vorläufigen Höhepunkt erlebt.

Wenn wir im Laufe eines Reifungsprozesses lernen, diese individuellen Unterschiede zwischen den Menschen nicht nur zu akzeptieren, sondern als sinnvoll zu bejahen, kommen wir von selbst zu einer Haltung gegenseitiger Toleranz, die im Motto gipfelt: Leben und leben lassen.


Kolumne 9, 30. Juni 2012

Reife wird immer mehr zu einem wertvollen Wert, vor allem auch wegen des damit verbundenen Erfahrungswissens.  Wissen bedeutet, einzelne Informationen vor ihrem Hintergrund zu sehen, sie einzuordnen, um ihre Bedeutung zu wissen, Zusammenhänge, Strukturen und Muster zu sehen. Ein Wald ist eben mehr als die Summe seiner Bäume 

Wenn wir alle verfügbaren Informationsquellen über einen bestimmten Wald auswerten, verfügen wir zweifellos über ein beträchtliches Mass an Wissen. Und doch braucht es, wenn wir den Wald richtig verstehen und nachhaltig nutzen wollen, zusätzlich das Wissen von leibhaftigen Förstern.

Wenn ein junger Förster direkt vom Studium der Forstwirtschaft kommt, weiss er zwar viel über den Wald im Allgemeinen. Doch nur ein erfahrener Förster weiss, wo das beste Holz geerntet werden kann, wo es Aufforstung braucht und wo man den Wald am besten in Ruhe lässt.

Was man an der Hochschule lernen kann, wird explizites oder auch begriffliches Wissen genannt. Diese Art von Wissen kann man aus Büchern lernen. Und das fällt bekanntlich in jungen Jahren leichter. Das beim erfahrenen Förster zu findende Wissen ist implizit, das heisst, wir können es nicht in Worten ausdrücken. Dafür in Handlungen. Es ist einfach da. 

Diese Art von Wissen ist untrennbar mit unserer individuellen Persönlichkeit verbunden, denn es wird durch unsere persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen geprägt. Kein Mensch hat dieselbe Lerngeschichte wie ein anderer, weshalb sich Erfahrungs-Wissen von niemandem einfach übernehmen lässt, geschweige denn von einem Computer. Das macht dieses Wissen so wertvoll. 

Noch wissen das nicht alle. Noch wird Wissen allzu oft mit begrifflichem Wissen gleichgesetzt. Und noch werden ältere Menschen deshalb geringer geschätzt, weil Jüngeren das Lernen dieses Wissens leichter fällt.

Rücken wir dagegen das Erfahrungs-Wissen ins Zentrum, so verändert sich plötzlich die Perspektive. Jetzt wird eine lange Lerngeschichte wertvoll, denn es liegt in der Natur der Sache, dass unser Erfahrungs-Wissen umso reichhaltiger und differenzierter wird, je länger wir Erfahrungen sammeln konnten.

Auch wenn die Chancen, zu wertvollem Erfahrungs-Wissen zu kommen, mit zunehmendem Alter steigen, so geschieht doch die Wertschöpfung durch Erfahrung keineswegs automatisch. Wenn ein älter werdender Mensch nicht bereit ist für neue Erfahrungen und Erweiterungen des eigenen Horizonts, läuft er Gefahr, geistig zu erstarren. Gerade Erfahrungs-Wissen ist nur dann wertvoll, wenn es lebendig bleibt, offen für nie endende Reifung.


Kolumne 10, 21. Juli 2012

Als die Menschheit noch an jugendlicher Selbstüberschätzung litt, hat sie den Menschen als ultimative Krönung und letzten Schritt der Schöpfung betrachtet. Heute wissen wir, dass der Mensch einfach das Produkt der biologischen Evolution ist, und dass diese Evolution ihren Endpunkt noch keineswegs erreicht hat, sondern weitergehen wird.

Wenngleich nicht in den Zeiträumen, die für uns interessant sind. Das macht aber nichts, denn die biologische Evolution ist bei uns Menschen längst durch eine geistige und kulturelle Evolution ergänzt, ja weitgehend abgelöst worden: Entwicklungen finden nicht mehr auf der Ebene von Zellen und Organen statt, sondern auf jener von Ideen und Denkmodellen. Der menschliche Fortschritt beruht darauf, dass wir laufend auf bessere Ideen kommen, also dazulernen.

In diesem Sinne bedeutet Reifung ganz einfach geistige Evolution, also das Gegenteil von Stillstand. Gerade in reiferen Jahren entdecken wir im Rückblick, dass wir ein Leben lang gereift sind. Warum sollte das nun plötzlich aufhören? Reife ist ein Idealzustand, den wir voraussichtlich nie ganz erreichen werden, aber dem wir uns ein Leben lang weiter annähern können.

Natürlich braucht es für einen solchen permanenten Reifungsprozess etliche geistige Voraussetzungen, Offenheit und Neugier zum Beispiel. Ebenso sind manche Denkmodelle hilfreicher als andere. Wenn wir unsere Ideen etwa als Gedankengebäude betrachten, laufen wir Gefahr, dass sich dieses Gebäude immer mehr verfestigt, ja, dass wir zu seiner Verteidigung Abwehrmauern errichten. Das führt natürlich zur geistigen Erstarrung.

Anders ist es, wenn wir das Bild vom Gedankenfluss verwenden. Ein Fluss ist immer in Bewegung und verändert sich durch den Zufluss neuer Seitenarme. Wenn wir unseren Geist als Fluss betrachten, brauchen wir uns also vor Stillstand und Erstarrung nicht zu fürchten.

Alles fliesst. Das wussten schon die alten Griechen. Und ein reifer Mensch weiss es ebenso. Wenn er auf sein Leben zurückblickt, nimmt er automatisch eine riesige Menge an Veränderungen wahr, in der äusseren Welt wie in seiner Innenwelt. Und er kann sich leicht ausrechnen, dass dieser Wandel weitergehen wird. So wird er zum Schluss kommen, dass der Wandel tatsächlich die einzige Konstante im Leben und in der Welt ist.

Reifung bedeutet, beide Seiten des Lebens, Bewahren und Wandel, zu integrieren und miteinander zu versöhnen. So können wir als lernende Menschen das Geheimnis entdecken: Nur wer sich wandelt, bleibt sich treu.


Kolumne 11, 1. September 2012

»In manchen Kulturen, wie zum Beispiel in Indien, gilt der Mensch erst mit 60 Jahren als erwachsen. Er hat die Zeit der jugendlichen Reifung und des Lernens ebenso wie die Zeit der ökonomischen, sexuellen und sozial-organisatorischen Aktivität, also Familiengründung und Geschäftserfolg, hinter sich gelassen. Nun zieht er sich in eine Gemeinschaft von Suchenden zurück, die das Lebensziel nicht mehr in der Hinwendung nach aussen, sondern in der Einkehr nach innen zu verwirklichen suchen.« (Ernst Pöppel, Beatrice Wagner: „Je älter desto besser“, 2010) 

Die Vorstellung, wonach sich die zentralen Werte im Laufe eines Reifungsprozesses markant verschieben können, ist keineswegs neu. Dieser Werte-Wandel bedeutet eine Akzentverschiebung von aussen nach innen, von materiellen zu immateriellen Werten (also von Materie zu Geist), von Quantität zu Qualität, vom Lebensstandard zur Lebensqualität. Er lässt sich seit geraumer Zeit bei einer wachsenden Zahl von Individuen beobachten, darunter erstaunlich viele Menschen im reiferen Alter. Ist Werteorientierung also tatsächlich eine Frage des Alters?

Natürlich nicht nur. Gerade im jugendlichen Alter stellen sich elementare Grundfragen der menschlichen Existenz wie jene nach Identität, Orientierung und Sinn oft mit Macht. Dann jedoch folgt für die meisten Menschen eine Lebensphase, in der es um handfeste materielle Werte geht, also um die Sicherung des Lebensunterhalts, um beruflichen Erfolg und um Familiengründung. 

Sind diese Aufgaben erfolgreich gemeistert, ist es nur natürlich, dass sich eines Tages die Frage stellt, ob das schon alles war. Dann kehren die Fragen der Jugendzeit zurück: Wer bin ich? Wohin gehe ich? Wozu bin ich da?

Doch wie alle Menschen, zumal im reiferen Alter, aus persönlicher Erfahrung wissen: Auf die Fragen nach Identität, Orientierung und Sinn gibt es keine endgültigen und keine allgemein verbindlichen Antworten. Zu verschieden sind die Perspektiven, zu sehr gilt, dass das einzig Konstante der Wandel ist.

Natürlich macht es Sinn, immer wieder nach vorläufigen Antworten zu suchen und diese im respektvollen Dialog auszutauschen. Doch noch wichtiger ist das Fragen selbst. Indem wir fragen, lenken wir unsere Achtsamkeit in eine bestimmte Richtung. Das allein verändert unseren Geist und unser Bewusstsein. Und zwar zum Guten. Periodische Selbstbefragungen danach, welche Werte uns im Innersten ausmachen, nähern uns einem nie ganz erreichbaren Ideal an: Weisheit.


Kolumne 12, 22. September 2012

Auch Werte unterliegen Konjunkturzyklen. Als ich noch deutlich jünger war, hatte beispielsweise der Wert Selbstverwirklichung Hochkonjunktur. Scharenweise zogen die Menschen bewehrt mit dem flatternden Banner der Selbstverwirklichung in Tarot- und Töpferkurse, in sexuelle Abenteuer und neue Beziehungen, in Abenteuercamps und Ashrams. Doch dann sanken die Kurse dieses Wertes rapide.

Wie konnte es dazu kommen? Ursache für den Kursverfall war wohl ein doppeltes Missverständnis. Das erste bestand darin, dass Selbstverwirklichung mit Egotrip verwechselt wurde. Ein solcher walzt in der Regel  seine Umgebung platt und  wird deshalb mit Fug und Recht schlecht bewertet. Diese Verwechslung führte zur Überreaktion. Jetzt glaubte man stattdessen, Selbstverwirklichung sei nur auf Kosten anderer zu haben.

Das zweite Missverständnis betraf das Objekt der Verwirklichung, das eigene Selbst. Statt sich zu fragen, was denn da eigentlich verwirklicht werden sollte, verwechselte man jeden Furz, der aus irgendeiner Triebblase aufstieg, mit dem eigenen Selbst, und hatte nichts Dringenderes zu tun als ihn alsogleich zu realisieren. Dabei ist das Selbst ein komplexes “Ding“, nicht zu verwechseln mit einem seiner Teilaspekte.

Heute wissen wir: Selbstverwirklichung ist kein Egotrip, im Gegenteil, ohne ein funktionierendes zwischenmenschliches Netz  ist sie undenkbar. Diese Einsicht hat sich weitgehend durchgesetzt.

Und zum zweiten heißt Selbstverwirklichung auch nicht mehr, einfach alles zu tun, was einem gerade in den Sinn kommt. Ihre Domäne ist vielmehr das eigene geistige Innenleben geworden, speziell die Frage, welchen Werten und Lebenszielen wir eigentlich folgen wollen.

Selbstverwirklichung wäre demnach der Prozess, diesen individuellen inneren Kern zu realisieren, wäre das, was der Tiefenpsychologe C.G. Jung Individuation genannt hat. Und dafür wiederum gibt es eine ebenso schöne wie rätselhafte Formulierung: Werde die, die du bist (oder der, der du bist). 

Selbstverwirklichung kann harte Passagen auf dem Lebensweg beinhalten, und ebenso erfreuliche und vergnügliche. Vor allem aber: Können Sie sich eine sinnvollere Art, Ihr Leben zu verbringen, vorstellen, als das zu verwirklichen, was nur Sie können, nämlich Ihr ganz eigenes, unverwechselbares Selbst? Eben.

Der große italienische Alpinist Walter Bonatti schrieb einmal: „Dort oben fühlte ich mich von einem Unternehmen zum anderen lebendiger, freier, wahrer: also verwirklicht.“ Wir brauchen nicht unbedingt auf Berggipfel zu steigen, um das zu erleben…


Kolumne 13, 13. Oktober 2012

Jedes Kind kann den Unterschied zwischen einem natürlichen, also echten Bach und einem künstlichen Kanal erkennen. Beim Kanal dominieren die geraden Linien, und diese erscheinen uns künstlich und unecht, weil wir nicht nur von der Natur, sondern auch von unserem Leben her Anderes gewohnt sind: Dieses verläuft so gut wie nie schnurgerade geradeaus, sondern meistens auf gekrümmten und verworrenen Pfaden. Die Gerade ist eine künstlich erdachte Linie, natürlicher und damit echter kommen uns deshalb die gekrümmten Uferlinien eines Bachlaufes vor. 

Auch beim Menschen gibt es Kriterien für Echtheit. Wir sind mit einem Gespür für Echtheit ausgerüstet und können zum Beispiel gut zwischen einem echten und einem unechten Lachen unterscheiden. Das ist gut so, denn Echtheit erweist sich zunehmend als wertvoller Wert.

Echtheit ist immer an Geschichte geknüpft, an Herkunft und Entwicklung. Wer oder was auch immer echt sein will, muss eine stimmige und glaubwürdige Geschichte zu erzählen wissen. Eine aalglatte Oberfläche löst sofort Alarm aus, nur Dellen und Kratzer bieten Gewähr für den Zahn der Zeit und damit für echte Geschichte.

Weiter heisst beim Menschen echt (oder, um es modebewusster auszudrücken, authentisch) zu sein: Sich im Einklang mit sich selber zu befinden. Die verschiedenen Ebenen, auf denen ein Mensch sich, seine Geschichte und seine Potenziale äussert, erzeugen bei einem authentischen Menschen einen harmonischen Klang.

Dieser Klang mag nicht allen gleich gut gefallen, aber er klingt in sich stimmig und damit echt. Ein Mensch steht entweder in oder neben seinen Schuhen, unabhängig davon, wie hübsch diese sind. Mit diesem Bild verstehen Sie jetzt auch, warum Echtheit tatsächlich ein wertvoller Wert bei der Gestaltung unseres Lebens und unserer selbst ist: Neben seinen Schuhen läuft es sich einfach reichlich unbequem und ineffizient.

Und so, wie sich eigene, innere Echtheit einfach besser anfühlt, ergeht es uns auch in der Aussenwelt. Das Echte erscheint uns per se wertvoller als das Unechte, in der Welt der Waren ebenso wie in jener der Mitmenschen. Echt ist einfach echt gut.

Die in diesen Sätzen aufgetauchte Verbindung zwischen „echt“ und „einfach“ ist kein Zufall. Echtheit und Einfachheit sind Geschwister, wirklich echt erscheint uns nur das, was alles Überflüssige weglässt und damit so einfach wie möglich ist.

Des eingedenk können wir getrost auf den uns angeborenen Sinn für das Echte vertrauen und uns derweil an der leicht abgewandelten Botschaft eines alten Kinderliedes erfreuen: Echt zu sein, bedarf es wenig, doch wer echt ist, ist ein König…


Kolumne 14, 3. November 2012

Die ersten Schritte durch das Geröllfeld neben der Hütte fühlen sich an, als ob ich das Gewicht eine Mammuts hätte. Zu völlig unchristlicher Zeit aus viel zu kurzem Schlummer neben viel zu lauten Schnarchern geweckt, befindet sich der Körper noch in nacht-trunkener Trägheit, findet nur schwerfällige Tritte durch das notdürftig von einer Stirnlampe erhellte Gelände. Erst allmählich läuft sich der Motor warm, fliesst das Blut leichter, hebt sich die Stimmung von Geist und Seele.

Diese unauslöschliche Erinnerung aus meinen Bergsteigerzeiten kommt immer mal wieder hoch, wenn ich mich am Anfang eines kreativen Prozesses befinde. Ganz egal, ob es sich um ein Forschungsprojekt handelt oder ein Fotobuch, um einen Krimi oder eine Familienfeier: Am Anfang steht immer die Idee eines Projekts, das wie der berühmte  Lockruf des Berges lockend ruft:  „Hallo, hier bin ich, komm her und entwickle mich !“ Wie der wirklich angefressene Bergsteiger kann ich diesem Schalmeienklang der Gipfel einfach nicht widerstehen. Das muss nicht immer gleich sein, aber wenn seine Zeit gekommen ist, mache ich mich auf, das kreative Projekt zu entwickeln.

In meinem Leben hat Kreativität also einen hohen Stellenwert. Und damit bin ich nicht allein, Kreativität kommt schwer in Mode. Das hat gute Gründe: Etwas Eigenes nach seinen Werten und Vorstellungen zu verwirklichen, stiftet Sinn. Eigen-Sinn. Selbstverwirklichung auf dem weiten Feld der Kreativität tut gut und stört niemanden, kann im Gegenteil andere sogar anregen und bereichern. Kreativität ist also zu Recht ein wertvoller Wert. 

So gern wir das auch hätten: Unser erhabener freier Wille ist dabei wenig nützlich. Kreative Prozesse lassen sich nicht per Knopfdruck in Gang setzen. Kreativität ist keine Frage des Wollens, sondern des Zulassens.

Wie immer Menschen ihre eigenen kreativen Prozesse beschreiben, ein Begriff kommt immer vor: fliessen. Man befindet sich im kreativen Fluss. Wenn es richtig läuft, dann fliesst es. Wir können diesen Fluss weder herbeizaubern noch aufwärts fliessen lassen. Wir können ihn stauen und behindern – oder ihn frei räumen. 

Das beiseite Räumen jener Steine, die unseren immer vorhandenen kreativen Fluss am Fliessen hindern, kann beschwerlich sein. Doch wie der Blutkreislauf beim frühmorgendlichen Bergsteigen allmählich in Schwung kommt und uns damit freie Bahn auf die Gipfel ermöglicht, fliesst Kreativität nach den ersten Mühen anstrengungslos von selbst und ermöglicht uns wunderbare Einsichten in Welten mit jenem Hauch von Frische, der unserem Leben immer wieder Sinn gibt.


Kolumne 15, 24. November 2012

Was ist bloß aus der guten alten Spassgesellschaft geworden? Vor vielen Jahren habe ich ein Buch mit dem Untertitel „Bewusstseinserweiterung macht Spass!“ geschrieben. Das würde ich heute kaum mehr machen, zu abgewirtschaftet klingt dieses „Spass“.

Fern scheinen schon jene Zeiten, in denen Spass zu haben der oberste Leitwert war. Das Lachen ist uns im Halse stecken geblieben, ernster ist unser Leben geworden, heiter ist oft nicht mal mehr die Kunst. Geht das jetzt so weiter? Streben wir bald nur noch nach  edlen Werten des Guten, Wahren und Schönen? Haben Vergnügen, Spass und Lust keinen Platz mehr in unserem Werte-Universum? Droht uns also eine graue, freudlose Zukunft?

Gemach. Spass ist als zentraler Leitwert zwar wirklich weg vom Fenster. Doch die frohe Kunde ist: Es gibt etwas Besseres, das mindestens so viel Spass machen kann: Lebensfreude.

Tatsächlich gibt es eine Reihe von guten Argumenten dafür, Lebensfreude sei als Leitwert für die eigene Lebensgestaltung deutlich besser geeignet als Spass: Spass ist immer nur momentan und punktuell, Lebensfreude umfasst das ganze Leben.  Spass braucht immer das Laute und Spektakuläre, während Lebensfreude sich auch aus Leisem und ganz und gar Unspektakulären ergeben kann. 

Spass tut alles, um seinen Gegenstücke wie etwa Langeweile  auszuschliessen. Lebensfreude  dagegen  will diese Gegenpole integrieren. Wer Lebensfreude zum Leitwert erkoren hat, weiss sehr wohl, dass kein Leben nur aus Freude besteht, akzeptiert, dass es auch Zeiten von Leid oder blosser Unlust gibt, und lässt sich deswegen seine grundsätzliche Lebensfreude nicht verdriessen.

Zu diesem Lebensgefühl gehört das, was mit einer hübschen Formulierung als illusionsloser Optimismus bezeichnet wird. Diese Haltung sieht sehr wohl die Realitäten, lässt sich aber nicht davon abbringen, stetig auch nach hoffnungsfrohen Informationen und Zeichen Ausschau zu halten. Dass diese Haltung Wohlbefinden und Kreativität fördert und darüber hinaus ganz einfach gesund ist, ist längst bekannt. Was Wunder, dass Lebensfreude ein wertvoller Wert ist. 

Die Fähigkeit zur Lebensfreude ist zwangsläufig ungleich verteilt, weswegen wir niemanden negativ bewerten dürfen, bloss weil er gerade weniger Lebensfreude ausstrahlt, als wir es uns wünschen – eine Aussage übrigens, die wir ruhig auch vor dem Spiegel wiederholen dürfen.

Gelegenheiten, unsere Fähigkeit zur Lebensfreude zu trainieren, gibt es überall und jederzeit. Sie liegen buchstäblich am Wegesrand, jene kleinen und nur scheinbar unbedeutenden Dinge und Begebenheiten, die uns für einen Moment Freude schenken. Wir brauchen nur die Augen dafür offen zu halten.


Kolumne 16, 22. Dezember 2012

Die nahen Festtage bergen, auch wenn wir das gerne verdrängen, ein beträchtliches Risiko für zwischenmenschliche Konflikte. Um dieses zu verringern lohnt sich die Besinnung auf einen elementaren Wert, der im menschlichen Zusammenleben und darüber hinaus besonders wertvoll ist: Respekt.

Respekt stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich „Zurückschauen, Rücksicht“. Der Begriff bezeichnet laut Lexikon „eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegen über einem anderen Lebewesen“. Nun ist „Ehrerbietung“ vielleicht etwas viel verlangt. Aufmerksamkeit und Wertschätzung dagegen sind menschliche Grundbedürfnisse. Ihr Fehlen führt zu Frustration und Konflikt, egal ob in einer Paarbeziehung, in der Familie oder im Berufsleben.

Begegnen wir jemanden dagegen mit Respekt, berücksichtigen wir buchstäblich auch sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Wie beim Blick in den Rückspiegel beim Autofahren erweitern wir mit Rücksichtnahme unser Sichtfeld um die Perspektive des Gegenübers. Respekt heisst, den anderen in seiner Individualität ernst zu nehmen, besonders seine Werte.

Um so etwas wie einen gesellschaftlichen Zusammenhalt auch in Zeiten einer immer noch zunehmenden Individualisierung zu gewährleisten, brauchen wir soziale Werte. Die simple Devise „was du nicht willst, das man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“  ist zwar richtig  und  wichtig,  für sich allein jedoch zu defensiv, um als ausreichende Werte-Basis für ein gedeihliches menschliches Zusammenleben dienen zu können.

Gegenseitiger Respekt ist ein Wert, der diese Rolle einnehmen könnte, ja muss, weil wir längerfristig in Wirtschaft und Gesellschaft auf Formen des Miteinanders zusteuern, die immer weniger mit Hierarchien und Machtgefällen zu tun haben und immer mehr mit Strukturen der Vernetzung. Erfolgreich vernetzen aber kann man sich nur mit jemandem, dem man auf gleicher Augenhöhe begegnet, in einer Form von Beziehung, Austausch und Kommunikation, die von gegenseitigen Respekt geprägt ist. Respekt ist der unabdingbare soziale Kitt von Netzwerken.

Und Respekt ist die einzige Basis, auf der starke individuelle Persönlichkeiten eine Beziehung aufbauen können. Respekt beginnt ja immer mit der Anerkennung der Andersartigkeit des Gegenübers, mit dem bewussten Entscheid, darin mehr eine Chance als eine Bedrohung zu sehen.

Echten Respekt für sich selber zu entwickeln, ist die beste Schule für den Respekt für andere: „Respektiere deinen Nächsten wie dich selbst!“  So wird unversehens aus einem Wert, der wie kein anderer für die Aussenwelt geschaffen schien, doch auch wieder einer für die Innenwelt.


 

Kolumne 17, 12. Januar 2013

Sie kennen die Situation aus verschiedenen Märchen: Die Hand der Königstochter wird gleichsam öffentlich ausgeschrieben. Die Bewerber strömen herbei und versuchen, im Ausscheidungswettkampf möglichst gut abzuschneiden. Am Ende aber entscheidet die Königstochter aufgrund eigener Massstäbe darüber, wen sie erwählt.

Heut zu Tage finden wir uns alle in der Rolle der Königstochter wieder, als Konsument, als Staatsbürgerin, als Gestaltende unseres eigenen Lebens. Überall können – und müssen – wir auswählen unter einem schier unübersichtlich gewordenen Angebot. Was unweigerlich zur Frage führt, nach welchen Massstäben und Kriterien wir diese Wahl treffen sollen und wollen. 

Das ist alles andere als einfach. Es ist ja nicht so, dass sich unter den Bewerbern um die Hand die Königstochter ausgesprochen hässliche oder dumme Exemplare befunden hätten. Auf den ersten Blick waren die Angebote auf hohem Niveau gleichwertig. Und so ergeht es uns auch, wenn wir vor der Wahl einer Joghurtmarke oder eines Lebensentwurfs stehen.

Wenn wir herausfinden wollen, welches Angebot am besten zu uns passt, müssen wir deshalb tiefer blicken. Heute und noch mehr morgen würde die Königstochter herausfinden wollen, was ihren Bewerbern wichtig ist im Leben, was ihnen Identität, Orientierung und Sinn gibt, was ihnen etwas wert ist – kurzum, welche Werte sie haben.

Dann würde sie einen Abgleich machen zwischen dem Werte-Profil ihres Gegenübers und ihrem eigenen. Sie würde intuitiv spüren, ob es zwischen den beiden Werte-Universen einen Gleichklang, eine Resonanz gibt. Und sie würde am Schluss jenen Bewerber erwählen, bei dem diese Werte-Resonanz am stärksten schwingt.

Auf eine solche Weiterentwicklung des Märchenstoffs brauchen wir nicht zu warten. Wir können dieses Auswahl-Prinzip der Werte-Resonanz schon heute pflegen. Und wir werden das in Zukunft noch verstärkt tun. Denn wenn die Angebote aller Art oberflächlich betrachtet immer vergleichbarer werden, ist Differenzierung im Nahbereich angesagt. Und da geht es letztlich immer um Werte. 

Welche Werte leiten einen anderen Menschen, eine Partei, eine Marke? Antworten auf solche Fragen werden immer stärker unser Wahlverhalten bestimmen. Nachhaltige Beziehungen zwischen Menschen oder zwischen Kunde und Marke gibt es nur bei einer starken Werte-Resonanz zwischen den beteiligten Partnern.

Um einschätzen zu können, ob es eine Werte-Resonanz gibt, müssen wir nicht nur die Werte der anderen kennen, sondern vor allem auch unsere eigenen. Die bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Werten ist ein Königspfad zur Selbsterkenntnis…


Kolumne 18, 2. Februar 2013

Geht das, eine Hitparade der Werte? Nun, für fast alles und jedes gibt es heut zu Tage so genannte Rankings, also Rangierungen, oder eben Hitparaden. Warum also nicht auch für Werte?

Die Frage ist natürlich wie immer bei solchen Listen, wer sie wie aufgrund welcher Kriterien ermittelt. Wie also sollen die zehn aktuell wichtigsten Werte bestimmt werden? Fakt ist: Objektive Kriterien dafür gibt es nicht. Keine höhere Instanz wie Kirche oder Staat bestimmen mehr, welches unsere wichtigen Werte sein sollen. Sie sind als Bestimmer von Werten abgelöst worden durch eine noch höhere Instanz: Uns selbst.

Nur wir als Individuen können (und müssen) entscheiden, welche Werte uns wie wichtig sind. Dafür steht uns heute wie bei der Auswahl an Zahnpasta-Sorten im Supermarkt ein riesiges Angebot zur Verfügung. Für eine aktuelle Studie habe ich eine Liste von nicht weniger als 55 Werten erstellt. Und die umfasst noch keineswegs alle denkbaren Werte, doch jemand muss eine Vorauswahl treffen.

Am liebsten würden wir all diese attraktiven Werte auswählen, und bis zu einem gewissen Grad können wir das auch. Doch oft genug sind sich in gewissen Situationen unsere Werte keineswegs einig. Dann müssen wir uns entscheiden, welche Werte uns noch wichtiger sind als andere.

Genau dies tun die Teilnehmenden an meiner aktuellen Kurzumfrage zur Ermittlung der Werte-Hitparade, indem sie die einfache Frage beantworten: Welche Werte aus dieser Liste sind die zehn für Sie persönlich wichtigsten? Diese Aufgabe ist gar nicht so einfach. (Am besten probieren Sie es selber aus, indem Sie an der Kurzumfrage teilnehmen. Sie finden sie unter der unten angegebenen Internet-Adresse.)

Wie vielfältig unsere individuellen Werte-Landschaften mittlerweile geworden sind, zeigt sich in ersten Trendergebnissen. Man hätte ja annehmen können, dass es einige absolute Top-Werte gibt, die von allen oder fast allen in die Liste der zehn wichtigsten Werte aufgenommen werden. Doch dem ist nicht so. Der bisher bestplatzierte Wert wird gerade mal von rund der Hälfte gewählt, alle anderen nur von einer Minderheit.

Das führt übrigens auch dazu, dass das Rennen um die ersten zehn Plätze in der Werte-Hitparade noch keineswegs gelaufen ist. Es gibt dauernde Verschiebungen, so dass das Schlussresultat erst Mitte Februar feststehen wird – ich werde Sie in meiner nächsten Kolumne selbstverständlich darüber informieren.

Natürlich ist eine solche Werte-Hitparade letztlich ein Spiel, das jedoch zu ernsthaften Erkenntnissen führen kann: Wie lernt man sich selbst und andere besser kennen, als wenn man sich fragt, welche Werte für einem persönlich auf die Top-Ten-Plätze der Werte-Hitparade gehören?


Kolumne 19, 23. Februar 2013

Zuverlässigkeit landet immerhin auf Platz 15 der „Werte-Hitparade“, und so komme ich nicht umhin, mein Versprechen aus der letzten Kolumne einzulösen und Sie darüber zu informieren, wer auf den obersten Plätzen gelandet ist.

Sie erinnern sich vielleicht: In einer Online-Kurzumfrage galt es, aus 55 vorgegebenen Werten jene auszuwählen, die zu den zehn persönlich wichtigsten zählen. Die Abstimmung läuft weiter, doch die ersten 330 Stimmen sind ausgezählt und ermöglichen spannende Einblicke in die Köpfe jener Menschen, die bereits begriffen haben, dass Werte grundsätzlich wertvoll sind.

Dabei zeigt sich einmal mehr, wie vielfältig unsere Werte-Landschaften geworden sind. Die Zeiten, als alle Menschen die wichtigsten Werte teilten, sind längst vorbei. Nur gerade ein einziger Wert wird von einer Mehrheit der Abstimmenden in die Liste der zehn wichtigsten Werte aufgenommen, erreicht also so etwas wie das absolute Mehr. Es handelt sich dabei, wenig überraschend, um den Wert Gesundheit.

Unangefochten auf Platz zwei liegt Lebensqualität – eigentlich eine Art übergreifender Dach-Wert, der viele andere Werte vereint. Klar ist die eindeutige Bevorzugung von Lebensqualität vor Lebensstandard – letzterer Wert landet abgeschlagen auf Rang 42…

Auf dem dritten Platz liegt der Wert Liebe, allerdings dicht gefolgt von Gerechtigkeit und Vertrauen. Die wichtigsten Werte betreffen also ganz offensichtlich nicht nur die eigene Person, sondern zentral auch das menschliche Miteinander.

Gemeinsam auf Platz sechs liegen Freiheit und Eigenverantwortung. Das ist eine hübsche Pointe, bilden doch diese beiden Werte tatsächlich die zwei Seiten derselben Medaille. Ebenfalls noch in die Top Ten geschafft haben es Ehrlichkeit, Lebensfreude und Zufriedenheit. Ehrlich sein kann man gegenüber sich selbst wie gegenüber anderen. Lebensfreude ist offenbar ein wichtiger Aspekt von Lebensqualität. Und Zufriedenheit ist eindeutig viel wichtiger als das ebenfalls getestete Glück.

Die Ränge elf bis zwanzig werden ebenfalls von wertvollen Werten eingenommen: Respekt. Selbständigkeit. Freundschaft. Soziale Verantwortung. Zuverlässigkeit. Toleranz. Lebenssinn. Humor. Sicherheit. Nachhaltigkeit.

Diese ersten zwanzig Plätze erscheinen aufgrund der Trendentwicklung derzeit fest vergeben. Doch auch das kann sich noch ändern, so wie einzelne Ränge in der Werte-Hitparade. So schnell wie bei einer Musik-Hitparade wird das nicht geschehen, Werte sind im Allgemeinen recht stabil.

Wie bei der Musik muss auch die Werte-Hitparade nicht Ihrem persönlichen Geschmack entsprechen. Wichtig ist nur, dass Sie wissen, welches Ihre eigenen wichtigsten Werte sind…

 


Kolumne 20, 16. März 2013

 

Das Sprachbild Werte-Landschaften fasziniert mich schon lange. Werte, also das, was uns etwas wert ist, bilden vor meinem inneren Auge tatsächlich ganze Landschaften.

Darin gibt es hoch aufragende Berge wie etwa den Wert Gesundheit. Um die markante Kuppel „Lebensqualität“ herum gruppieren sich haufenweise Hügel, die Bezeichnungen wie „Freiheit“ oder „Eigenverantwortung“ tragen. Und die grünen Wälder von „Nachhaltigkeit“ kontrastieren reizvoll mit dem stillen See namens „Lebenssinn“.

Manche Bereiche dieser Werte-Landschaft sind von ganz persönlichen Werten bestimmt, andere von solchen des menschlichen Zusammenlebens. Zwischen manchen Werten gibt es schroffe Abgründe, andere treten offensichtlich nur gemeinsam auf.

Werte-Landschaften sind äusserst vielfältig. Es gibt zahlreiche Werte, die darin einen Platz finden wollen. Und jeder Mensch ist frei in der Gestaltung seiner eigenen Werte-Landschaft. Diese Freiheit umfasst mehr, als wir oft zu denken wagen.

Bei den äusseren Landschaften müssen wir uns immer für die eine entscheiden, in der wir uns aufhalten wollen. Bei den inneren Werte-Landschaften dagegen sind wir frei, eine ganze Reihe auszuwählen, die wir unser eigen nennen können. In unserer Innenwelt finden eben Dinge gleichzeitig und miteinander Platz, die in der Aussenwelt niemals gleichzeitig am selben Ort sein könnten. Wer dies einmal begriffen hat, kann deshalb gut mit gegensätzlichen und widersprüchlichen Werten leben und zwischen ihnen ein fliessendes Gleichgewicht herstellen.

Das Bild von den Werte-Landschaften gefällt mir noch aus einem anderen Grund. Wie in der Aussenwelt gibt es nämlich auch in der inneren Werte-Welt städtische und ländliche Landschaften. Und damit so etwas wie Land-Werte. Werte, die ihre Wurzeln in der ländlichen Kultur haben. Werte, die im ländlichen Raum ihren Nutzen und ihren Sinn bewiesen haben. Werte, die es überall verdient haben, genauer betrachtet zu werden.

Für solche Land-Werte bietet das nach wie vor ländlich geprägte Appenzellerland natürlich einen hervorragenden Nährboden. Es kann deshalb nicht erstaunen, dass meine für die Appenzeller Zeitung geschriebenen Beschreibungen von Werte-Landschaften eine deutlich ländliche Prägung haben…

Allerdings ist die Vorliebe für bestimmte Werte-Landschaften nicht an einen Wohnort gebunden. Wie der Grosserfolg von Zeitschriften wie „LandLust“ oder „LandLiebe „zeigt, bewegen sich auch Stadtmäuse gerne in ländlichen Werte-Landschaften. Landmäuse ohnehin. Land-Werte dienen – wie Landwirte – allen…

 


Kolumne 21, 6. April 2013

Was haben Werte mit dem Wetter zu tun – abgesehen von einigen gemeinsamen Buchstaben? Wie gerade aktuell die Reaktionen auf den nicht enden wollenden Winter zeigen, bewerten wir Menschen das Wetter ständig. Und wenn wir bewerten, kommen unsere Werte ins Spiel.

Diese sind gerade beim Wetter offenkundig unterschiedlich. Viele Menschen investieren viel Zeit und Energie, um sich über das Wetter aufzuregen und sich ein besseres, sprich an ihre Bedürfnisse angepasstes, zu wünschen. Dahinter steckt eine Art Allmachtsphantasie, die Vorstellung, es müsste doch möglich sein, das Wetter zu kontrollieren und es auf die eigenen Wünsche zuzuschneidern.

Andere betrachten die Kapriolen des Wetters als ideale Gelegenheit, den Wert Gelassenheit zu üben. Hinter dieser Haltung stecken Werte wie Bescheidenheit und Demut. Beide stehen derzeit nicht besonders hoch im Kurs, doch als Gegengewicht zum vorherrschenden Kontrollwahn haben sie zweifellos ihren Wert.

Ebenso zeugt eine gelassene Einstellung gegenüber dem Wetter aber auch von einer hohen Klugheit. Es gibt den bekannten Stossseufzer: »Herr, gib mir die Kraft, jene Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Gib mir die Gelassenheit, jene Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Und gib mir die Klugheit, zwischen beiden unterscheiden zu können.« Zu welchem Bereich das Wetter gehört, ist jedem halbwegs klugen Menschen klar.

Gelassenheit, gegenüber dem Wetter und darüber hinaus, gehört zu jener Kategorie von Werten, die ich in meiner letzten Kolumne als „Land-Werte“ bezeichnet habe. Auf dem Land hat man über Jahrhunderte gelernt, dem Wetter gegenüber Gelassenheit zu entwickeln, es hinzunehmen, wie es kommt, sich auf jede Möglichkeit einzustellen und jeweils das Beste daraus zu machen. Zeit und Energie für lautstarke Klagen hatte man ohnehin nicht.

Und noch etwas lehrte diese ländliche Erfahrungskultur: Gelassenheit ist ein weiser Wert, denn sie schenkt etwas, das zu den besten Zielen von Lebenskunst gehört: Seelenfrieden. Nicht umsonst gehört Gelassenheit deshalb für mich nicht nur zu den Land-Werten, sondern auch zu den reifen Werten. Die sind in Land und Stadt wertvoll.

Dass auch Land-Bewohner nicht davor gefeit sind, ihre eigenen Werte zu vergessen, zeigt diese hübsche Fabel: Ein Bauer hatte den lieben Gott überredet, ihn ein Jahr lang sein eigenes Wetter machen zu lassen. Von der Aussaat bis zur Ernte des Getreides mischte er daraufhin sorgfältig Sonne und Regen, Kühle und Wärme, Licht und Schatten so, dass das Wetter optimalen Ertrag versprach. Doch, oh Schreck, bei der Ernte waren die Ähren leer. Der Bauer hatte den für die Bestäubung unerlässlichen Wind vergessen…

 


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