Blochers Fahnenstange

Ein anregender Rollenwechsel…
Blochers Fahnenstange
(Januar 1995)
(Aus einer Serie für den „Schweizerischen Beobachter“, in der Autoren fiktive Texte für andere schreiben. )
Andreas Giger, unabhängiger Vor- und Querdenker aus Rehetobel/AR, schreibt diesmal für den dannzumaligen Bundespräsidenten Christoph Blocher die Eröffnungsrede zur Landesausstellung 2001.
Heute feiern wir die Eröffnung der Landi 2001. Es war doch gut, dass die ganze Schweiz 1998 als eigentliches Jubiläums-Jahr verschlafen hat. Jetzt, wo ein neues Jahrtausend angefangen hat, können wir viel besser in die Zukunft schauen. Ja, die Schweizer verschlafen gelegentlich, um dann beim Aufwachen etwas noch viel besseres vorzufinden…
Dass ausgerechnet der Blocher den Blick vorwärts preist, mag Ihnen immer noch seltsam vorkommen, genauso seltsam wie die Tatsache, dass ich heute als Bundespräsident hier bin. Und weil alles miteinander zusammenhängt, erzähle ich Ihnen jetzt das erste Mal, wie es wirklich gekommen ist, das mit dem gewandelten Blocher. Man hat ja schon lange gemunkelt, es sei irgendeine Erleuchtung von oben über mich gekommen…
Es ist Anfang 1995 gewesen. Wir hatten unsere „Albisgüetli-Tagung“ gehabt, und der damalige Bundespräsident Villiger hat mir ordentlich die Leviten gelesen. Ich bin etwas verunsichert nach Hause gekommen, und um meine aufrechte Gesinnung wieder herzustellen, habe ich im Garten die Schweizerfahne gehisst.
Da ist eine der in jenen Tagen häufigen plötzlichen Sturmböen gekommen und hat die Fahnenstange umgerissen. Sie ist mir direkt auf den Kopf gefallen.
Nun ist mein Schädel bekanntlich hart, und so hat es mir äusserlich nichts gemacht. Nur innerlich, da hat sich etwas verändert. Und weil diese Veränderung schliesslich von einer Schweizer Fahnenstange verursacht worden ist, habe ich sie als Zeichen vom Herrgott genommen.
Meiner Vaterlandsliebe jedenfalls hat das Ereignis nicht geschadet, im Gegenteil, sie lodert seitdem stärker als ein Erstaugustfeuer. Ich habe gespürt: Mein Einsatz für eine starke und unabhängige Schweiz stimmt. So bestimmt denn dieses Ziel bis heute mein Handeln.
Allerdings hat es in meinem Schädel plötzlich wie mehr Platz gegeben. So habe ich gesehen, dass meine bisherigen Wege zu diesem Ziel nicht die einzigen sind. Nehmen Sie zum Beispiel die Stärke der Schweiz. Ich habe gemerkt, dass Kollege Villiger irgendwo recht hat: Man kann nicht Stärke predigen und dabei ständig Misstrauen gegen einen Teil des Ganzen sähen. Das schwächt das Ganze, und das habe ich nicht gewollt. Zu spüren, dass auch die andere Seite eine starke Schweiz will, hat mich versöhnlicher gestimmt.
Und wo ich gerade dabei gewesen bin, habe ich mir auch das mit der Unabhängigkeit noch einmal angeschaut, zum Beispiel die Verteidigung des Bankgeheimnisses. Damals haben gerade die Luxemburger den EU-Kommissions-Präsidenten gestellt und so das Wirksamste zum Schutz ihres Bankplatzes getan. Das wäre doch immerhin auch für uns eine Lösung, oder ?
Die Luxemburger haben übrigens damals glaubhaft versichert, sie hätten als kleines Land noch nie ein so starkes Selbstbewusstsein gehabt wie seit sie in der EU wären. Das hat mir zu denken gegeben. Ich habe gemerkt, dass die andere Hälfte der Schweiz, die auf mehr Integration setzt, ja auch Unabhängigkeit will und dafür einfach einen anderen Weg sieht.
So habe ich gelernt, dass die Schweiz wirklich aus beiden Seiten besteht, und dass es so unsinnig wäre, eine auszuschliessen, wie es unsinnig ist zu fragen, ob die Menschheit aus Männlein oder Weiblein besteht. Schliesslich bin ich selber ja auch beides, der heimatliebende Politiker und der weltoffene Unternehmer.
Mit einer Versöhnung dieser beiden Seiten der Schweiz, so habe ich erkannt, bleiben wir am besten stark und unabhängig. Und wie man in der Geschichte oft gesehen hat, sind die größten Haudegen manchmal die besten Versöhner. Nur deshalb bin ich den Bundesrat gekommen.
Die Landi, die wir heute eröffnen, ist ein Teil dieser Versöhnung, und sie ist eine hervorragende Möglichkeit, uns bewusst zu werden, dass wir aus widersprüchlichen Eigenarten bestehen. Daraus schöpfen wir Selbstbewusstsein. Deshalb lasse ich es mir auch nicht nehmen, persönlich das Schweizerkreuz zu hissen. Hoffentlich hält diesmal die Fahnenstange…