Das Jahrhundert der Nachhaltigkeit

Denkanstösse zu einem spannenden Thema
Eine Trendforscherin bezeichnete jüngst im Fernsehen unser Jahrhundert als jenes der Nachhaltigkeit. Zu dieser Aussage bietet der folgende Artikel vier Denkanstösse.
In der Kultursendung des Schweizer Fernsehens ging es um den Vintage-Boom, also um die Frage, warum bei Kleidern, Möbeln und Ähnlichem edle alte Designerstücke so gefragt sind. Die Antwort einer jungen Trendforscherin lautete sinngemäss: Weil wir im Jahrhundert der Nachhaltigkeit leben und somit grössere Zeiträume ins Auge fassen, wächst die Sehnsucht nach dem Bewährten.
Wenn wir davon ausgehen, dass das mit dem Jahrhundert der Nachhaltigkeit stimmt, ergeben sich interessante Perspektiven:
1. Mehr Zeit bitte!
Nachhaltigkeit ist ein schillernder Begriff, doch in einem sind sich alle einig: Es geht darum, grössere oder längere Zeiträume ins Auge zu fassen. Die Erfinder des Begriffs, die ja aus der Forstwirtschaft stammten, konnten gar nicht anders als schon an die nächsten Generationen zu denken, so langsam reift ihr Produkt heran.
Die heutige Wirtschaft und auch die Politik haben diese langfristige Perspektive aus den Augen verloren. Man denkt nur noch in Quartalszahlen und Wahlperioden. Die dringende Bitte an die Verantwortlichen kann deshalb nur lauten: Nehmt Euch mehr Zeit bitte! Und zwar in jeder Hinsicht: Mehr Zeit im Sinne eines grössere Zeiträume umfassenden Vorausdenkens. Und mehr Zeit, um darüber nachzudenken.
Doch der Appell an die Verantwortlichen genügt natürlich nicht. Nachhaltiges Denken und Handeln wird sich nur dann durchsetzen, wenn Individuen wie wir es vormachen. Der Vintage-Boom ist ein hoffnungsfrohes Zeichen dafür, dass wir die Fixierung auf die Gegenwart loslassen können. Jetzt brauchen wir dieselbe Ausweitung des Zeithorizonts nur noch auch in die andere Richtung, vorwärts nämlich…
2. Nachhaltigkeit ist nicht immer gut
Wenn ein Waffenproduzent nachhaltigen Erfolg hat, weil er langfristig denkt und plant, ist das für allgemeine Lebensqualität auf unserem Planeten nicht unbedingt von Vorteil.
Wenn hingegen ein Produzent von Bio-Weinen nachhaltigen Erfolg hat, weil er die Biodiversität in den Weinbergen langfristig unterstützt, steigert das die Lebensqualität der Weinbauern, der Weinhändler und der Weingeniesser.
Langfristig zu denken und zu handeln reicht also nicht. Es geht immer auch um die Frage, welche Werte nachhaltig gefördert werden sollen…
3. Nachhaltigkeit und Lebensqualität sind Zwillinge

Wer alle seine Ressourcen für die Maximierung seines kurzfristigen Genusses einsetzt, wird kaum auf den grünen Zweig nachhaltiger Lebensqualität kommen. Lebensqualität ist anders als nachhaltig gar nicht denkbar. Dabei bedeutet nachhaltig in diesem Zusammenhang eindeutig beides: eine langfristige Perspektive und ein Bewusstsein für die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebensqualitäts-Sphären.
Umgekehrt wird ebenfalls ein Schuh draus. Wenn das Ziel nachhaltigen Denkens und Handelns nicht darin besteht, für möglichst viele die Voraussetzungen für eine möglichst gute Lebensqualität zu schaffen, wird das 21. Jahrhundert nie zu jenem der Nachhaltigkeit…
4. Nachhaltigkeit heisst Reifung
Nachhaltigkeit kann nicht bedeuten, dass auf ewig alles so bleibt wie es ist. Zum Wesen des Lebens und der Evolution gehört Entwicklung. Wenn es gut geht, führt diese Entwicklung zum Besseren. Das nennen wir Reifung.
Auch Lebensqualität kann bekanntlich reifen. Zu nachhaltiger Lebensqualität gehört Reifung unabdingbar dazu, auf der Ebene des Individuums ebenso wie auf jener von menschlichen Gemeinschaften.
Das Jahrhundert der Nachhaltigkeit kann werden, wenn wir die alte Weisheit beherzigen: Es geht nicht darum, die Asche weiterzutragen, sondern die Glut…