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Von Thailand und anderen Abenteuern

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Jenseits der Empörung

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Warum wir jetzt Innehalten und Reflexion brauchen

Die derzeit allenthalben grassierende Empörung über alles mögliche ist zwar ein guter Antreiber. Aber kein guter Ratgeber. Statt im Teufelskreis von Aktion und Reaktion gefangen zu bleiben, sollten wir uns Zeit nehmen, um innezuhalten und zu reflektieren.

Ein schmales Büchlein mit dem simplen Titel Empört Euch! verkauft sich millionenfach und wird vielerorts zur Bibel von Protestbewegungen. Bisher brave Untertanen werden plötzlich zu Wutbürgern, die ihrer Empörung lautstark Ausdruck verleihen. Es scheint, als ob Empörung die Emotion der Stunde wäre.

Nun gibt es zeifelsfrei in unserer Welt ausreichend Gründe zur Empörung. Vieles, was wir hier gar nicht aufzuzählen brauchen, schreit tatsächlich zum Himmel. Wenn sich immer mehr Menschen gegen himmelschreiende Zustände auflehnen, ist das also ein gutes Zeichen, macht doch diese Empörung klar, dass die Sensibilitäten dieser Menschen nicht völlig abgestumpft sind, sondern dass noch ein Herz in ihrer Brust schlägt. Menschen, die sich gar nicht mehr über Ungerechtigkeiten, Umweltzerstörungen und andere Übel aufregen können, leisten ganz sicher keinen Beitrag zu einer Verbesserung der Welt. 

Antrieb mit beschränkter Haftung

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Empörung ist also zunächst ein guter Antreiber dafür, etwas zum Besseren hin verändern zu wollen. Doch wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir nicht nur wissen, was wir ablehnen, sondern auch, was wir stattdessen wollen. Auf diese Frage gibt das Gefühl der Empörung keine Antwort. Empörung sagt nur etwas darüber aus, was wir nicht wollen. Bleibt es bei der Empörung, entsteht ein Teufelskreis: Die einen agieren, die anderen reagieren mit Ablehung und Empörung, was diese wiederum keineswegs dazu motiviert, etwas an ihrer Aktion zu ändern. So blockieren sich beide Seiten gegenseitig.

Das Dumme an der Empörung ist, dass sie uns immer zur sofortigen Aktion oder Reaktion antreibt und es ihr dabei ganz egal ist, ob diese Hetze wirklich in ihrem eigenen Interesse ist. Fatalerweise verhindert diese Hetze nämlich, dass wir uns überlegen, wo wir eigentlich hin wollen, und wie wir am besten dahin kommen. Das von unserer Empörung her rührende Gefühl der Dringlichkeit von Aktionen und Reaktionen verhindert also, dass wir in Ruhe nachdenken. Reflexion braucht nun mal Raum und Musse. 

In Zeiten massloser Beschleunigung sind das rare und kostbare Güter geworden. Überall geht es nur noch um möglichst rasches Handeln. Niemand nimmt sich mehr die Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, was man da eigentlich tue, ob man in der richtigen Richtung unterwegs sei und was einem im Leben wirklich wichtig und wertvoll sei. Diese mangelnde Reflexion über die eigene Person, über das eigene Tun, aber auch über den Zustand der Welt ist ohne Zweifel eine der fundamentalsten Ursachen für den schlechten Zustand derselben.

Auch die beste Reflexion führt keineswegs automatisch und sofort zu Patentrezepten und Universallösungen. Dafür ist die Schar jener Probleme, über die wir uns empören, viel zu komplex und unübersichtlich, wobei noch hinzu kommt, dass jede und jeder ohnehin das eigene Problem für das wichtigste hält. Deshalb gibt es im anschwellenden Empörungschor auch nur eine einzige gemeinsame Note, die der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk so formuliert:

»Es lässt sich nicht leugnen: Die einzige Tatsache von universaler ethischer Bedeutung in der aktuellen Welt ist die allgegenwärtig wachsende Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann.«

Erste Einsicht

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Das klingt zunächst nach wenig, bedeutet aber bei näherem Zusehen unendlich viel: Bei allen riesigen Differenzen bei der Benennung von Problemen und Krisen, bei deren Bedeutung und natürlich auch bei deren Lösung gibt es doch eine verbindende Gemeinsamkeit, nämlich eben diese Einsicht: So kann es nicht weitergehen!

Ob es dabei tatsächlich immer schon um eine tief durchdachte wirkliche geistige Einsicht geht, sei vorderhand dahingestellt. Oft handelt es sich dabei zunächst um ein mehr oder weniger starkes Gefühl, ja vielleicht auch nur um eine dumpfe Ahnung. Doch da es sich dabei um unabdingbare Vorstufen einer wirklichen Einsicht handelt, sind gerade diese Regungen unseres Bauches sehr ernst zu nehmen.

Ein kleines Gedankenexperiment, das viele aus eigener Erfahrung kennen, macht dies deutlich: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einer Bergwanderung in unbekanntem Gelände. Sie sind gut vorangekommen und der festen Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein.

Doch dann meldet sich ein dumpfes Grummeln in Ihrem Bauch, das zunächst kaum wahrnehmbar ist, sich jedoch immer mehr  zu  einem  Gefühl  auswächst:  Irgendetwas stimmt hier nicht. Jetzt schaltet sich auch Ihr Verstand ein und nimmt wahr, dass der eben noch so Vertrauen erweckende Weg sich im Nichts verliert, und dass das Gelände immer abschüssiger wird.

Es hat eine Weile gedauert, bis aus dem dumpfen Gefühl eine glasklare Einsicht geworden ist: Sie haben sich verlaufen. Und deshalb kann es so nicht weitergehen. Mit dieser Einsicht haben Sie die erste Hürde für Ihre Rettung aus einer kritischen Situation genommen. Ohne diese Einsicht wären Sie nämlich buchstäblich blindlings in Ihr Verderben gestolpert.

Natürlich können Sie diese Einsicht auch jetzt noch verdrängen und einfach weiter marschieren, in der vagen Hoffnung, es käme schon irgendwie gut. Sie können sich auch vornehmen, während des Weitermarschierens darüber nachzudenken, wie Sie wieder auf den richtigen Weg kommen.

Beide Strategien sind nicht sehr empfehlenswert. Stur weiterzumachen führt ziemlich direkt in den Abgrund, und wenn Sie beim Gehen denken, kommen Sie entweder ins Stolpern oder die Qualität Ihrer Gedanken leidet. Wenn also die Einsicht gewachsen ist, so könne es nicht weitergehen, gibt es nur eines: einen Marschalt einzulegen. 

Innehalten

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Dafür gibt es ein wunderschönes deutsches Wort: innehalten. Also nicht nur einen Halt einzulegen, sondern dabei die Aufmerksamkeit nach innen zu leiten. Laut Duden verweist das „inne“ in innehalten nämlich eindeutig auf die Innendimension, wie in „innehaben“ oder „innewohnen“.

Aus dem Innehalten kann das werden, was ein weiteres verwandtes Wort beschreibt: innewerden. Innewerden bedeutet gewahr werden. Also Verständnis, Erkenntnis und Einsicht. Und damit genau das, was wir in einer Situation brauchen, in der wir zwar festgestellt haben, dass es so nicht weitergehen kann, aber noch nicht wissen, wie wir aus dem Schlamassel wieder heraus kommen.

Mit dem Innehalten ist es natürlich nicht getan, innewerden erfordert aktives Denken.. also Reflexion. Doch dazu kommen wir tatsächlich nur, wenn wir innehalten. Nur so bekommen wir die Chance, über die Diagnose, dass es so nicht weitergehen kann, hinaus zu kommen.

Die Welt als Ganzes kann nicht innehalten. Wir als Individuen können das sehr wohl. Und wenn  genügend  Menschen  gelegentlich  aus dem Hamsterrad des alltäglichen Erwerbslebens aussteigen und innehalten, um zu reflektieren, wird sich das auch auf die Welt auswirken. Noch mehr als die Einsicht, so könne es nicht weitergehen…

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