LebensQualität generell (1)
Rundum wohl fühlen – so lautet die Verheißung von Wellness. Mit Wassern und Dämpfen, mit Ölen und Salben, mit Klängen und Düften wird aufgefahren, um diesen Zustand zu erreichen. Und wer ihn kennt, wird ihn gewiss als erstrebenswert bezeichnen. Der Körper wohlig entspannt, die Seele am Baumeln – was will man mehr?
Zunächst mehr vom selben. Wir Menschen haben offenbar eine angeborene Neigung, Momente des totalen Wohlbefindens verlängern oder möglichst oft wiederholen zu wollen, wie schon die Dichterworte sagen: »Oh Augenblick, verweile noch!« oder »Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!«
Gegen solche Wünsche ist nichts einzuwenden – außer, dass sie völlig illusorisch sind. Niemand ist je gesichtet worden, der es geschafft hätte, ständig im Zustand völligen Wohlbefindens zu bleiben…
Einem illusorischen Ziel wie ständigem Wohlbefinden nach zu jagen, ist nicht besonders klug, weil uns solches Tun zwangsläufig zu Versagern macht, und das ist keine tragfähige Basis für ein geglücktes Leben.
Apropos Glück: Auch der Versuch, das Glück im eigenen Leben zu maximieren, gehört in diese Kategorie unerfüllbarer Wünsche, und alle Buchautoren und Seminarleiterinnen, die solches zu lehren versprechen, sollten deshalb dringend noch mal über ihre Bücher.
Womit sich die Frage stellt, ob es jenseits von permanenter Wellness oder maximalem Glück Ziele für unser Leben gibt, die realistischer sind. Nicht, weil wir sie je erreichen können, sondern weil wir uns ihnen annähern können, Schritt für Schritt.
Brauchen wir überhaupt solche Ziele für unser Leben? Während des größten Teils der menschlichen Geschichte hat sich diese Frage nicht gestellt. Da gab es mächtige Institutionen, die dem Leben der Menschen klare Ziele vorgaben. Der Staat setzte das Ziel, ihm möglichst treu zu dienen, bei Bedarf bis zum Tod auf dem Schlachtfeld. Die Wirtschaft gab das Ziel vor, möglichst viel Kohle zu machen. Die Kirche setzte das Ziel, sich dem eigenen Seelenheil zu widmen. Und so fort.
Dieselben Interessengruppen gaben auch klar vor, wie diese Ziele zu erreichen seien. Die Menschen waren somit Verwalter ihres Lebens: Ziele und Wege waren fremdbestimmt, sie hatten nur auszuführen.
Dann kam eine Übergangsphase der Lockerung. Die Ziele waren zwar noch von außen vorgegeben, doch die Wege dahin konnten die Menschen jetzt frei wählen. Sie waren Manager ihres Lebens. Heute haben diese Ziele setzenden Institutionen viel von ihrem Einfluss verloren, und damit die Macht, den einzelnen Menschen die Ziele ihres Lebens aufzuzwingen. Mehr und mehr werden wir deshalb zu Lebensgestaltern, die frei über Ziele und Wege ihres Lebens bestimmen können.
Wir können also die Ziele unseres Lebens frei wählen – aber wir müssen auch. Das nennt man die Qual der Wahl, und eine andere Wahl, als uns für bestimmte Lebensziele zu entscheiden, haben wir nicht, weil ein Leben ganz ohne Orientierung und Ausrichtung uns selbst und unseren Mitmenschen kaum sinnvoll erscheinen kann.
Zum Glück haben wir ein ganz gut funktionierendes Orientierungssystem eingebaut: unsere Werte. Sie entscheiden darüber, was uns wie viel wert ist, wo wir in unserem Leben wie viel an Zeit, Aufmerksamkeit und Energie investieren.
Nur: Diese unsere Werte werden uns ebenfalls nicht mehr von außen vorgegeben, wir können und müssen sie selber auswählen, und das ist nicht ganz einfach, weil das Angebot im Supermarkt der Werte ebenso unüberschaubar geworden ist wie jenes an Zahnpastamarken in einem normalen Dorfladen.
Ordnung in dieses Chaos bringen Leitwerte. Ein Leitwert ist nicht so sehr der oberste Boss aller Werte, dem sich alles unterzuordnen hat, sondern mehr ein Koordinator, der geschickt verschiedene Werte zu einem bündelt und zwischen ihnen vermittelt und ausgleicht.
Ein solcher Leitwert ist somit etwas Ähnliches wie ein Lebensziel, weil er bei der Gestaltung des eigenen Lebens eine Richtung vorgibt. Darüber hinaus ist ein Leitwert aber auch ein Maßstab, mit dem wir bewerten können, wie weit wir bei unserer Lebensgestaltung in die selber gewählte Richtung vorangekommen sind.
Jeder Mensch braucht als Gestalter seines eigenen Lebens somit Leitwerte, und, weil wir letztlich doch ziemlich einfach gestrickte Geschöpfe sind, noch besser nur einen einzigen.
Führt das nun im Zeitalter der Individualisierung dazu, dass wir uns alle ganz unterschiedliche Leitwerte auswählen? Die Antwort heißt, wie ich auf Grund eigener Forschung weiß, nein. Natürlich wird es in unseren Breitengraden kaum mehr allgemein verbindliche Leitwerte geben, und natürlich werden die Leitwerte der Menschen von heute und morgen individuell gefärbt sein. Doch es gibt einen heißen Anwärter für den Stuhl eines Leitwertes, der einer wachsenden Zahl von Menschen gemeinsam ist.
Die Kandidatin heißt Lebensqualität. Lebensqualität ist die ebenso klare wie offene, ebenso verbindliche wie wandelbare Antwort auf die Frage, worum es bei der Gestaltung des eigenen Lebens eigentlich geht.
Lebensqualität umfasst das ganze Leben. Lebensqualität ist optimierbar. Lebensqualität ist lernbar. Lebensqualität liegt im Trend. Deshalb ist Lebensqualität die ideale Richtschnur für Lebensgestaltung.
Wenn es bei der Gestaltung unseres eigenen Lebens um Lebensqualität geht, worum geht es dann bei Lebensqualität? Das können nur Sie für sich beantworten. Doch es gibt durchaus einige verbindende Elemente, auf die zu achten sich lohnt.
Aus: Andreas Giger: LebensQualität. 2006

Was gehört für mich unbedingt zu meiner Lebensqualität?
Welche Elemente würde ich in die Top 3 wählen? Welche in die Top 5? Und welche in die Top 10?