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Von Thailand und anderen Abenteuern

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LQ-Bilanz von Unternehmen

2. Wesen und Sinn der Lebensqualitäts-Bilanz

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2.1. Hintergrund: Lücken im Stakeholder-Ansatz

Nachdem selbst Bank-Aktionäre angefangen haben, sich von der Rolle des blossen Erfüllungsgehilfen des Managements zu emanzipieren, wird es allmählich auch den Letzten klar: Der reine Shareholder-Ansatz hat ausgedient. Die Erkenntnis setzt sich durch – auch wenn sie noch nicht im gleichen Mass angewendet wird – , dass ein Unternehmen nur leben und überleben kann, wenn es alle Stakeholder berücksichtigt.

Dieser Stakeholder-Ansatz besagt im Kern das, was diese stark vereinfachte Wikipedia-Grafik beinhaltet: Ein Unternehmen steht in Beziehung zu unterschiedlichen Gruppen.

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Weniger Klarheit herrscht über Inhalt und Natur dieser Beziehungen. Im Rahmen des Stakeholder-Ansatzes ist oft von „Anspruchsgruppen“ die Rede, deren Bedürfnisse und Interessen das Unternehmen bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen habe. Das Unternehmen erfüllt also als grosser Spender verschiedene Ansprüche. Was eine ziemlich einseitige Form einer Beziehung wäre.

In Wirklichkeit verhält es sich so wie in der Grafik dargestellt: Es handelt sich um wechselseitige Beziehungen. Und wie immer in der Ökonomie geht es dabei um Austausch-Beziehungen zum Zwecke der Erzielung eines beidseitigen Mehrwerts.

Da die klassische Ökonomie keinen anderen Mehrwert kennt als den materiellen, geht sie ganz selbstverständlich davon aus, dass sich beide Beziehungs-Partner als Homo oeconomicus verhalten, das heisst versuchen, ihren eigenen Profit zu maximieren, der wiederum nur relevant ist, wenn er in Geldwert ausgedrückt werden kann.

Nun mehren sich allerdings die Belege dafür, dass dieser Homo oeconomicus eine Fiktion ist.  Reale Menschen wollen zwar sehr wohl Mehr-Werte erzielen. Doch sie beschränken das Spektrum dabei nicht auf materielle Werte allein, sie wollen vielmehr auch immaterielle Werte wie Fairness oder Vertrauen realisieren.

 

2.2. Mehrwert wird neu definiert

Unsere Sprache macht es klar: Werte sind ein weites Feld, das zwar materielle Werte mit einschliesst, aber eben auch sehr viele immaterielle Werte umfasst. Werte sind das, was uns etwas wert ist, was uns wichtig ist. Um diese Werte zu vermehren, sind wir zu Investitionen bereit und stecken Aufmerksamkeit, Zeit, Energie, Gefühle und auch Geld in Austauschbeziehungen, die uns einen Mehr-Wert versprechen – unabhängig davon, ob es sich dabei um materielle oder immaterielle Werte handelt.

In den Austauschbeziehungen zwischen einem Unternehmen und seinen Stakeholdern geht es zwar meistens auch um Geld, aber selten allein darum. Ein Mehrwert für die Stakeholder entsteht auch, wenn das Unternehmen ihnen dabei hilft, andere, immaterielle Werte zu realisieren. Da dieser realisierte oder erwartete Mehrwert auf Seiten der Stakeholder wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass auch das Unternehmen aus dieser Beziehung einen Mehrwert schöpfen kann, ist ein besseres Verständnis davon gefragt, um welche Werte (neben den materiellen) es in diesen Stakeholder-Beziehungen eigentlich geht.

Das ist mehr als eine akademische Frage: Will ein Unternehmen die Mehrwert-Potenziale, die in seinen Stakeholder-Beziehungen stecken, wirklich nutzen, so muss es erst einmal verstehen, worum es in dieser Beziehung für die Partner (Stakeholder) eigentlich geht.

 

2.3. Vom Werte-Chaos…

Einer der grossen und starken gesellschaftlichen Megatrends der letzten Jahrzehnte ist die Individualisierung. Der einzelne Mensch folgt immer weniger von aussen vorgegebenen Zielen und Bahnen, sondern wird zum Gestalter seines eigenen Lebens. Diese Freiheit in Eigenverantwortung schliesst auch die Wahl der eigenen Werte mit ein. Was wertvoll und wichtig ist, entscheiden nicht mehr primär gesellschaftliche Institutionen, sondern das Individuum selbst 

Diese Wahlfreiheit ist wie immer ambivalent, sie stellt das Individuum auch vor die Qual der Wahl. Denn die Auswahl im Supermarkt der Werte ist riesig: In einem Vorläufer-Projekt von spirit.ch wurden einmal 137 einzelne Werte getestet – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Herausforderung, sich daraus ein eigenes passendes Set von Werten zusammenzustellen, ist gross und bildet für manche Menschen gar eine Überforderung. 

Dasselbe Problem stellt sich auch bei der Erforschung der Stakeholder-Beziehungen. Wenn in diesen Beziehungen tatsächlich unzählige Einzel-Werte im Spiel sind, die sich auch noch gegenseitig beeinflussen, wird diese Beziehung sehr schnell viel zu komplex, um sie einigermassen adäquat erfassen zu können. Wir müssten von diesem Vorhaben also bedauernd Abschied nehmen, ehe wir es überhaupt begonnen haben.

 

2.4. …zum Leit-Wert Lebensqualität

Tatsächlich dürfte ein zentraler Grund für die bisherige weitgehende Abstinenz der Ökonomie in Fragen immaterieller Werte darin liegen, dass es sich dabei um „soft factors“ handelt, die naturgemäss vielschichtiger, komplexer, mehrdimensionaler und damit schwerer fassbar sind als die harten Fakten rund um das Geld, das ja den grossen Vorteil bietet, sehr vieles auf eine einzige Dimension zu reduzieren, in der man erst noch problemlos messen kann. Geld ist so zur allseits akzeptierten Leitwährung und zur verbindlichen Messgrösse für alle materiellen Werte geworden.

Etwas direkt Vergleichbares kann es für den Bereich der immateriellen Werte aus nahe liegenden Gründen nicht geben. Aber vielleicht etwas Ähnliches. So etwas wäre dringend nötig, denn die Ökonomie wird ihren Horizont bei der Analyse von Wert-Schöpfung erst dann auf den Bereich der immateriellen Werte ausweiten, wenn es in jenem Bereich ebenfalls so etwas wie eine allgemein akzeptierte Leitwährung und eine ebensolche Messgrösse gibt.

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Im kleinen Himalaja-Königreich Bhutan hat dieser Wunsch nach Horizontausweitung bekanntlich dazu geführt, dass zusätzlich zum Bruttoinlandprodukt offiziell ein Brutto-Glücksprodukt eingeführt wurde. Gleichrangig zur Erfassung des materiellen Fortschritts soll also auch gemessen werden, wie sich das Glück der Bevölkerung entwickelt.

Um dieses Modell eins zu eins übernehmen zu können, sind wir kulturell zu weit vom Himalaja entfernt. Doch auch hier zu Lande entwickelt sich allmählich ein Diskurs darüber, ob es in Wirtschaft und Politik wirklich nur darum gehe, den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben. Es sei doch, wird argumentiert, das eigentliche Ziel der Menschen, glücklich zu sein, und dafür seien materielle Werte zwar nicht unerheblich, aber doch längst nicht allein entscheidend.

Mit dem Glück als oberstem Lebensziel ist es allerdings so eine Sache. Selbst wenn wir mal den flatterhaften und launischen Schicksalsaspekt von Glück abziehen („Glück haben“), bleibt immer noch die Tatsache, dass Glück als Empfindung („glücklich sein“) von der Evolution wohl für Momente, nicht aber als Dauerzustand vorgesehen ist („nichts ist schwer zu ertragen als eine Reihe von glücklichen Tagen…“).

Selbst renommierte Glücksforscher sprechen deshalb mittlerweile lieber von Wohlbefinden, was wiederum reichlich lau und einschränkend klingt. Als Alternative zu „Glück“ bietet die Philosophie den Begriff der „Zufriedenheit“ an, sei diese doch im Gegensatz zu Glück auch dauerhaft denkbar und zudem durch das Setzen realistischer Erwartungen auch viel besser zu beeinflussen als das launische Glück. Zufriedenheit wäre also tatsächlich ein guter Massstab. Die Frage ist nur: Zufriedenheit womit? 

Als Objekt von Zufriedenheit schlagen wir als Alternative zu Glück den Begriff der Lebensqualität vor. Um zu illustrieren, wovon wir dabei sprechen, haben wir zehn Thesen zu Lebensqualität formuliert.

 

2.5. Zehn Thesen zu Lebensqualität

1. Lebensqualität lässt sich nicht definieren, aber empfinden

Die Hinwendung zu Lebensqualität bedeutet eine Akzentverschiebung von Quantität zu Qualität. Qualität lässt sich weder definieren noch messen. Doch wir Menschen haben ein untrügliches Gespür für Qualität – und damit auch für unsere Lebensqualität.

2. Lebensqualität hat viele Facetten

Anders als das eindimensionale Ziel Lebensstandard ist der Wert Lebensqualität vielschichtig und multidimensional. Das Modell von spirit.ch unterscheidet sechzehn Lebensqualitäts-Sphären, die alle wichtig bis sehr wichtig für die generelle Lebensqualität sind:

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Das Modell der sechzehn Lebensqualitäts-Sphären von spirit.ch zeigt, welche Bedeutung jede Sphäre für die generelle Lebensqualität hat.

3. Lebensqualität ist nur individuell bestimmbar

Was Lebensqualität für ihn konkret bedeutet, kann jeder Mensch nur für sich selbst sagen. Wie die einzelnen Zutaten gemischt werden ist individuell und persönlich, doch die Auswahl an Zutaten (Lebensqualitäts-Sphären) ist für alle gleich.

4. Lebensqualität lässt sich optimieren

Anders als materieller Lebensstandard lässt sich Lebensqualität nicht unendlich maximieren, hingegen sehr wohl optimieren – und zwar bis ins hohe Alter. Vieles deutet darauf hin, dass in punkto Lebensqualität die besten Jahre erst nach fünfzig beginnen.

5. Lebensqualität lebt von Eigenverantwortung

Für unsere eigene Lebensqualität sind wir zwar nicht allein, aber doch mehrheitlich selbst verantwortlich. Wir haben es also selber in der Hand, mit unserer Lebensqualität pfleglich umzugehen.

6. Lebensqualität ist lernbar

Durch bewusste Auseinandersetzung mit unserer eigenen Lebensqualität, durch Impulse von aussen und durch unsere Lebenserfahrung können wir lernen, unsere Lebensqualität zu verbessern.

7. Lebensqualität wird zum idealen Leitwert der persönlichen   Lebensgestaltung

Im Dickicht der Werte wird Lebensqualität immer mehr zum Leitwert, der alle für die menschliche Lebensgestaltung relevanten Werte bündelt und integriert. Lebensqualität wird gleichsam zur „Dachmarke“ einer werte-orientierten Lebensführung.

8. Lebensqualität wird zum Massstab für geglückte Lebenskunst

Unser Empfinden für den Zustand unserer Lebensqualität hilft uns festzustellen, ob wir mit unserer Lebenskunst auf Kurs in Richtung optimale Lebensqualität sind, oder ob wir davon abweichen.

9. Lebensqualität lässt sich nicht messen – wohl aber die Zufriedenheit damit

Zufriedenheit ist der Abstand zwischen unseren persönlichen Idealvorstellungen von Lebensqualität und der Realität. Indem wir unsere Ziele realistisch setzen, können wir diese Zufriedenheit verbessern. Und diese Zufriedenheit ist messbar:

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Die durchschnittliche Zufriedenheit mit der eigenen Lebensqualität lässt sich messen und zeigt eine deutliche Aufwärtstendenz.

10. Lebensqualität wird auch zum wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Leitwert

In der Politik wird es verstärkt darum gehen, möglichst gute Lebensqualität für möglichst viele zu ermöglichen. Und Unternehmen werden immer stärker daran gemessen, was sie zur Lebensqualität ihrer Stakeholder beitragen.

 

2.6. Das Lebensqualitäts-Konto

Der Ansatz von spirit.ch zur Messung der Zufriedenheit mit der eigenen Lebensqualität (siehe These 9) integriert vorhandene Ansätze und geht zugleich darüber hinaus:

–       Wie in der Glücksforschung verwenden wir eine dezimale Zahlen-Skala (dort: „Wie glücklich sind Sie auf einer Skala von 1 bis 10?“). Allerdings verweisen wir explizit darauf, dass die Befragten selbst ihren Referenz-Punkt setzen, also selber darüber entscheiden, was für sie der oberste Skalen-Wert bedeutet.

–       Wie in der Zufriedenheits-Forschung fragen wir also nach dem Abstand zwischen selbst definiertem Ideal und Realität, doch wir geben dieser Empfindung für Zufriedenheit ein Objekt, nämlich die eigene Lebensqualität.

Diese Lebensqualität wiederum ist ein hochkomplexes Phänomen (siehe These 2). Dessen sind sich die Befragten von spirit.ch bewusst, wenngleich viele erst durch die Befragung erfahren, wie komplex das Phänomen Lebensqualität tatsächlich ist. Ob mehr oder weniger bewusst: Die Menschen wissen, dass ihre Lebensqualität viele Sphären und Untersphären hat. Ihre generelle Lebensqualität ist somit das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels vieler verschiedener Einflussfaktoren.

Nichtsdestotrotz sind die meisten Menschen offenbar fähig, dieses komplexe System intuitiv zu einem einzigen Wert zu verrechnen, und zwar buchstäblich. Denn der so unbewusst errechnete Gesamtwert lässt sich erst noch in einer Zahl ausdrücken, nämlich dem Lebensqualitäts-Index, der wörtlich so erhoben wird:

Wenn Sie einmal die höchste Lebensqualität, die Sie für sich denken können, mit dem Wert 100 beziffern: Wie hoch ist dann Ihre derzeitige allgemeine Lebensqualität (als Ganzes, nicht auf den jetzigen Augenblick beschränkt…). Ihre tatsächlich empfundene Lebensqualität können Sie mit einer Zahl zwischen 1 und 100 ausdrücken.

Das ist natürlich eine grobe Vereinfachung, die der komplexen individuellen Wirklichkeit nie gerecht werden kann. Doch es handelt sich immerhin um eine Annäherung an die Messung von Lebensqualität, die den grossen Vorteil hat, standardisierbar zu sein und damit Vergleiche aller Art zu ermöglichen.

An diesem Punkt angekommen, liegt die Idee des Lebensqualitäts-Kontos nahe. Dieses Konto wird aus unterschiedlichen Quellen gespeist („Lebensqualitäts-Förderer“) und fliesst in unterschiedliche Richtungen ab („Lebensqualitäts-Killer“). Wie bei einem Bank-Konto kann sich dadurch der Kontostand erhöhen oder verringern. Und ebenso werden die Menschen danach trachten, ersteres zu erlangen und zweiteres zu vermeiden.

Wenn es um ihr Lebensqualitäts-Konto geht, verhalten sich die Menschen rational im Sinne der Ökonomie. Dieser Homo öconomicus, dem es um die Optimierung seiner Werte geht, hat aber einen wesentlich weiteren Werte-Horizont im Auge, in dem die materiellen Werte nur ein Element bilden. Und kann somit auch mal einen Zuwachs auf dem Bank-Konto sausen lassen, wenn ihm dafür ein Gewinn auf dem Lebensqualitäts-Konto winkt. Zum zentralen Kriterium aller Investitions-Entscheidungen von Menschen (nicht nur über Geld) wird somit die Lebensqualitäts-Bilanz.

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