Lebensqualität kann reifen!

Das Projekt: Ein Blick in die Köpfe der meinungsbildenden Avantgarde
Bewusstseinswandel beginnt immer in einzelnen Köpfen. Davon, was sich dort abspielt, hat die grosse Masse meistens noch lange keine Ahnung. Wenn man also wissen will, welche Wandlungsprozesse im Bewusstsein in Gang sind, fragt man besser nicht die Masse, sondern einzelne Experten, die sich mit dem Thema schon eingehender beschäftigt haben. Solche Expertenbefragungen sind deshalb gang und gäbe, wenn man etwas über zukünftige Entwicklungen erfahren will – zum Beispiel über die Entwicklung einer neuen Sicht des älter Werdens.
Nun fragt es sich allerdings, wer bei einer solchen Frage die Experten sind. Üblicherweise setzt man Expertentum gleich mit gewissen Berufsrollen, das heisst, man wird Experte, wenn man sich mit einem Thema professionell beschäftigt. Nun gibt es allerdings in fast jedem Themenfeld Menschen, die sich damit interessiert und engagiert auseinandersetzen, obwohl sie keine Profis sind. Nichtsdestotrotz erwerben und schaffen auch sie Experten-Wissen. Und da, wo sie vom Thema direkt betroffen sind, oft genug sogar relevanteres Wissen als die Profi-Experten.
So paradox es klingt: Es gibt so etwas wie Laien-Experten. Und genau dieser Gruppe von interessierten und engagierten Zeitgenossen verschafft das vorliegende Projekt eine Stimme.
Die Voraussetzung einer direkten Betroffenheit ist für alle, die hier zu Gehör kommen, zweifellos gegeben, denn älter werden wir schliesslich alle. Was nicht bedeutet, dass wir uns auch alle bewusst mit dem Thema des älter Werdens auseinandersetzen. Viele verdrängen es oder flüchten sich in den hoffnungslosen Versuch, die verlorene Jugend wieder zu gewinne, weil sie sich der Illusion hingeben, ihre Lebensqualität sei damals besser gewesen. Und viele nehmen sich auch einfach nicht die nötige Zeit und Musse, um in Ruhe darüber nachzudenken, welche Chancen und Potenziale in den späteren Lebensphasen stecken.
Es ist also eine Minderheit, die sich bewusst mit dem älter Werden beschäftigt und sich gerne zum Thema äussert. Das ist in unserer politischen Demokratie nicht anders: Meistens nimmt nur eine Minderheit an den Abstimmungen teil, nämlich jene, die sich für das Thema interessiert und sich dazu äussern möchte. Und niemand nimmt Anstoss daran, dass es auf diese Weise nie zu einem wirklich repräsentativen Meinungsbild der Gesamtbevölkerung kommt. Es ist für uns selbstverständlich, dass alle mitreden können, aber niemand mitreden muss.
In der klassischen Umfrageforschung wird immer noch die strikte Version von Repräsentativität hoch gehalten. Eine Stichprobe soll ein exaktes Abbild der Gesamtbevölkerung liefern, und zu Antworten genötigt werden deshalb auch Befragte, die sich keinen Deut für das fragliche Thema interessieren und deshalb dazu auch nichts zu sagen haben. Und weil manche Fragen nun mal einen gewissen Intelligenzgrad erfordern, den man nicht überall in der Bevölkerung voraussetzen kann, muss das Niveau der Fragen so weit nach unten nivelliert werden, bis sie auch vom letzten verstanden werden. So erhält man streng repräsentative Antworten auf banale Fragen.
Unsere Fragen dagegen sind alles andere als banal und setzen tatsächlich ein ordentliches Mass an Interesse und Engagement voraus. Eine klassisch repräsentative Umfrage kam deshalb nicht in Frage. Stattdessen setzen wir bewusst auf die Minderheit der Laien-Experten und verschaffen diesen eine Stimme, um so die Meinungen der meinungsbildenden Avantgarde zu Gehör zu bringen.
Das wiederum ist auf verschiedene Weise möglich. Man könnte zum Beispiel mit einigen Angehörigen dieser Avantgarde ausführliche Gespräche über eine neue Sicht des älter Werdens im Allgemeinen und über Reifende Lebensqualität im Speziellen führen und diese Gespräche dann protokollieren. Der Nachteil dieser grundsätzlich ergiebigen Methode besteht zum einen darin, dass immer nur eine reichlich begrenzte Anzahl von Gesprächen geführt werden kann, und zum anderen in der fehlenden Vergleichbarkeit. Persönliche Gespräche verlaufen immer wieder anders, und ihre Ergebnisse bilden deshalb immer nur eine Reihe von eher lose miteinander verbundenen Einzelfällen.
Ein einigermassen verlässliches Gesamtbild des Meinungsspektrums innerhalb der meinungsbildenden Avantgarde ergibt sich so nicht. Besser ist es, wenn sich an einer solchen Befragung grundsätzlich alle beteiligen können, die das wollen und von ihren geistigen Voraussetzungen her auch können. Und zum zweiten sollten die Antworten auch direkt miteinander verglichen werden können. Das wiederum geht nur mit einer standardisierten Befragungsform, also mit einem Fragebogen, der für alle dieselben Fragebogen und Antwortmöglichkeiten enthält.
Die Verwendung von standardisierten Befragungen für ein Thema wie neue Altersbilder ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Dass man Abstimmungsprognosen und Marktanteile von Waschpulvermarken so ermittelt, ist längst normal. Aber kann man so auch „philosophische“ Fragen wie jene, ob es so etwas wie Reifende Lebensqualität gibt, beantworten? Man kann.
Viele Jahre Erfahrung mit solchen Befragungen haben uns gelehrt, dass es tatsächlich so etwas gibt wie „Schwarmintelligenz“ oder die „Weisheit der Masse“. Massen müssen es gar nicht sein, es genügen schon fünfzig oder hundert interessierte Menschen, die vergleichbare Antworten auf vergleichbare Fragen geben, um jenseits zufälliger Einzelmeinungen ein verlässliches Abbild des kollektiven Bewusstseins zu entdecken.
Natürlich gehen so viele individuelle Feinheiten und Differenzierungen verloren, doch auf der anderen Seite gewinnt man durch Befragungen und statistische Auswertungen ein gutes Bild davon, wie die Menschen denken und ticken. Oder jedenfalls jene Menschen, die sich für ein Thema wie Lebensqualität überhaupt interessieren. So erhalten Sie auch in dieser Studie einen guten Gesamteindruck von den Einstellungen der meinungsbildenden Avantgarde zum Thema Reifende Lebensqualität.
Da kann die Schulmeinung noch so sehr behaupten, Philosophie und Statistik seien wie Feuer und Wasser und somit völlig unverträglich – wir haben andere Erfahrungen gemacht. Und möchten Ihnen diese in dieser Studie weiter geben. Um uns dabei zu folgen, brauchen Sie keinerlei statistische Vorkenntnisse und nicht einmal ein Faible für Zahlen. Es genügt, sich für einen Moment auf die Idee einzulassen, auch in Zahlen könnten Erkenntnisse stecken, die für die eigene Lebensgestaltung nützlich sind.
Ein beliebter Ansatz der statistischen Analyse ist der Vergleich bestimmter Merkmale in unterschiedlichen Gruppen. Treten eines oder mehrere Merkmale in einer Gruppe gehäuft auf und in der anderen selten, kann man einen Zusammenhang vermuten. Muss man aber nicht, wie das bekannte Beispiel zeigt: In sehr ländlichen Gegenden findet man eine höhere Kinderzahl und weitaus mehr Störche als in städtischen. Das bedeutet nicht, dass der Storch die Kinder bringt…
In unserem Fall vergleichen wir vor allem die Antworten verschiedener Altersgruppen. Wir wollen sehen, ob sich die Vorstellungen rund um Reifende Lebensqualität in den verschiedenen Lebensphasen verändern. Dazu stehen uns verschiedene Datenquellen zur Verfügung:
– Die Lebensqualitäts-Basis-Befragung von spirit.ch: Dort werden vielfältige Fragen rund um das Thema Lebensqualität gestellt, deren Antworten wir speziell für dieses Projekt nach Altersgruppen analysiert haben. Die Daten stammen aus den Jahren 2009 und 2010 und beruhen auf rund 300 Teilnehmenden.
– Die Umfrage über Reife Lebensqualität von spirit.ch: Diese fand im Februar und März 2010 statt und fokussierte auf das Thema Reife und Lebensqualität. Teilgenommen haben etwa 120 Personen, was ein verlässliches Gesamtbild und zudem die Auswertung nach Altersgruppen ermöglicht.
– Die Umfrage über Reife Lebensqualität aus dem Jahr 2007: Diese wurde noch vom Vorgänger-Projekt von spirit.ch namens SensoNet durchgeführt. Beteiligt haben sich 139 Personen. Da die damalige Befragung dieselbe Zielgruppe hatte, nämlich am Thema Interessierte, und da viele Fragen bereits damals identisch formuliert und mit derselben Methode (Online-Befragung) erhoben wurden, gibt es die Möglichkeit des direkten Zeitvergleichs.
– Weitere SensoNet-Umfragen aus früheren Jahren: Einzelne Fragen, die in der aktuellen Umfrage über Reife Lebensqualität gestellt wurden, waren bereits Bestandteil früherer Befragungen von SensoNet, was in diesen Fällen zusätzliche Zeitvergleiche ermöglicht.
Da sich die Magie statistischer Zahlen nicht für alle Leserinnen und Leser unmittelbar erschliessen dürfte, haben wir alle relevanten Ergebnisse unserer Auszählungen und Analysen in grafische Darstellungen umgesetzt und zusätzlich kommentiert, so dass ein optimaler Erkenntnisgewinn möglich sein sollte.
Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre reifende Ein- und Aussichten.
Wald AR, im Frühling 2010:
Dr. Andreas Giger, Projektleiter