Lebensqualitäts-Investments

Ein Interview über Zukunft, Lebensqualität und Investment
Interview von dp payoff magazine – all about derivative investments, Nr.2, Februar 2010 mit spirit.ch-Initiant Andreas Giger
«Es geht bei der Anlage nicht mehr nur darum, dass Geld vermehrt wird, sondern um das Wie»
payoff-Redaktorin Angelika Meyer sprach mit Andreas Giger, unabhängiger Zukunftsphilosoph.
Auch Zukunftsforscher schauen ja erst einmal zurück in die Vergangenheit. Was waren aus Ihrer Sicht die erstaunlichsten Ereignisse seit der Jahrtausendwende?
Ereignisse kann man unmöglich voraussehen, deshalb habe ich auch mit keinem gerechnet. Erstaunt hat mich hingegen das Ausmass an Vergesslichkeit in diesem Jahrzehnt – gerade in den Finanzmärkten. Das Platzen der Dotcom-Blase? Kurze Zeit später schon vergessen. Und schon wieder wird die jüngste Vergangenheit vergessen und so getan, als ob nie was gewesen wäre. Wobei »vergessen« vermutlich das falsche Wort ist, es geht eher um verdrängen. In Sachen Lernfähigkeit jedenfalls bin ich in diesem letzten Jahrzehnt pessimistischer geworden.
Und schauen wir nun nach vorne. Wie sieht die Welt im Jahre 2020 aus?
»Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.« Dieses Zitat wird unterschiedlichen Urhebern zugeschrieben, was nichts an seinem Wahrheitsgehalt ändert. Weil wir es überall auf der Welt – vom Wetter bis zu den Finanzmärkten – mit chaotischen Systemen zu tun haben, sind Prognosen sogar grundsätzlich unmöglich. Beschreibungen der Welt im Jahr 2020 sind deshalb nicht mehr als eine hübsche Spielerei. Aus diesem Grund bezeichne ich mich auch seit Jahren nicht mehr als Zukunftsforscher, sondern als Zukunfts-Philosoph.
Welche Herausforderungen warten auf uns?
Wir werden uns hier zu Lande in diesem Jahrzehnt darauf einzustellen haben, dass wir uns auf der materiellen Ebene einem Punkt der Sättigung nähern. Die Jagd nach immer noch mehr vom Selben (Geld, Lebensstandard) wird schwieriger – und sinnloser. Denn viele Forschungsergebnisse,darunter auch meine eigenen, zeigen, dass ein Zuwachs auf dem Bank-Konto keineswegs automatisch zu einem Zuwachs auf dem Lebensqualitäts-Konto führt. Wir haben also eine grosse Lernlektion vor uns: Unsere Lebensqualität zu verbessern, ohne mehr zu verdienen. Das bedeutet einen Bewusstseins- und Wertewandel, von den materiellen zu den immateriellen Werten, von Quantität zu Qualität, von Lebensstandard zu Lebensqualität.
Welche Gefahren sind damit verbunden?
In Zeiten eines fundamentalen Bewusstseinswandels, wie er uns bevorsteht, neigt ein Teil der Menschen immer dazu, sich rückwärtsgewandt an Überholtem festzuklammern, statt vorwärts zu blicken und die Chancen zu nutzen, die der Wandel bietet. Und diese Chance besteht tatsächlich in einem besseren Leben.
Und was bedeutet das für das Anlegen von Geld?
Materie ist in meinem Modell eine von sechzehn Sphären, die zusammen Lebensqualität ergeben. Der legitime Wunsch nach Geldvermehrung wird deshalb stärker an andere Lebensqualitäts-Sphären gekoppelt sein. Ich denke da an die Sphären »Sinn« oder »Nachhaltigkeit«. Das bedeutet: Es geht bei der Anlage nicht mehr nur darum, dass Geld vermehrt wird, sondern verstärkt um das Wie.
Zuletzt noch: Was möchten Sie als Zukunfts-Philosoph den Lesern von payoff ganz besonders ans Herz legen, welchen Rat geben?
Auch Ratschläge sind Schläge und deshalb tunlichst zu vermeiden. Aber ich wünsche ihnen Raum, Zeit und Musse für Selbstbeobachtung und Reflexion, also die nur selbst zu schaffende Gelegenheit, sich selbst und das eigene Tun gelegentlich aus einer gewissen Distanz zu beobachten und zu hinterfragen.
Kasten:
Andreas Giger ist im Jahr 1951 geboren. Der promovierte Sozialwissenschaftler lebt und arbeitet heute als eigenwilliger, unabhängiger Zukunftsphilosoph, Autor und Fotograf in Wald AR. Neben Büchern publiziert er Artikel, hält Vorträge und ist als Unternehmensberater tätig. Andreas Giger ist Initiant der neuen Internetplattform für Nachhaltige Lebensqualität www.spirit.ch