Eigensinnige Werte-Mixtur

Folge 2 von GELEBTE WERTE: Herbamed
Das kleine Pharmaunternehmen Herbamed stellt im appenzellischen Bühler Heilmittel und Grundstoffe aus Pflanzen her und vertreibt diese in die halbe Welt. Wie bei ihren Komplexpräparaten setzt sie dabei auf eine eigensinnige Mischung von Werten.
Ich sitze mit Christoph Züllig, der das Unternehmen vor 31 Jahren gegründet hat und bis heute leitet, im Restaurant „Lily oft he Valley“, einem einfachen Holzbau direkt neben dem Eingang des Herbamed-Gebäudes, das mit seiner weissen Schindelfassade sehr harmonisch wirkt. Es ist Pausenzeit. Das Angebot, mit Brot, Butter und Konfitüre ein zweites Frühstück zu sich zu nehmen, wird rege genutzt, die Stimmung am Montagmorgen scheint gut.
Eigentlich bin ich aus einem anderen Grund hier. Ich will mehr über Herbamed erfahren, weil ich dieses Wissen für einen geplanten Krimi brauche. Doch jetzt, als ich erfahre, dass Herbamed auf der halben Welt mit ihren Produkten erfolgreich ist, und dass die Mitarbeitenden eine überdurchschnittliche Firmentreue zeigen, sehe ich dieses kleine Unternehmen plötzlich auch mit den Augen des Autors von GELEBTE WERTE: Nur wer bestimmte Werte lebt, kann nach innen und aussen nachhaltig so erfolgreich sein wie Herbamed.
Werte ohne Worte
Welche Werte sind es in diesem Fall? Mich reizt in diesem Moment eine Herausforderung: Ich will herausfinden, welche Werte Herbamed lebt, ohne ein einziges Mal das Wort Werte in den Mund zu nehmen. Ob das wohl gehen wird? Es wird.
Beobachten und zuhören helfen weiter. Christoph Züllig hat mittlerweile zwei Damen an den Tisch gebeten, die in seiner Firma eine wichtige Rolle spielen. Zunächst stellt er mir Irma Hänni vor. Sie war von Anfang an dabei, zunächst sowohl als Produktions- wie als Laborleiterin, später, als Regulierungen eine Trennung der beiden Funktionen verlangten, „nur“ noch als Produktiobsleiterin. Christoph Züllig zeigt mir später ein Bild, auf dem sie bei der Herstellung eines homöopathischen Grundstoffs zu sehen ist. Eine grosse Rauchwolke ist zu sehen, man wähnt sich in einer alchemistischen Hexenküche. Mittlerweile ist sie pensioniert, kommt aber für Spezialaufgaben immer noch gerne in die Firma.
Nicole Garnbal dagegen ist erst Anfang dreissig. Sie machte bei Herbamed ihre KV-Lehre, musste danach weggehen, kam zurück, ging noch einmal woanders hin und ist jetzt endgültig da gelandet, weil Christoph Züllig in ihr seine Nachfolgerin sieht, die in einigen Jahren das Zepter übernehmen soll.
Eigensinn
Beides erscheint mir als Ausdruck eines Werts, den ich sehr schätze: Eigenwilligkeit, ja Eigensinn. Vor dreissig Jahren war es nicht üblich, einer Frau eine technische Leitungsfunktion zu übertragen, und bis heute ist es ungewohnt, dass ein Mann Jahre voraus seine Nachfolgeregelung mit einer jungen Frau plant. Diese Möglichkeit zum Eigensinn liegt Christoph Züllig am Herzen. Schon im zarten Alter von sieben hat er, wie er erzählt, beschlossen, selbständiger Unternehmer zu werden, angeregt durch das väterliche Vorbild.
Dieser war allerdings auf technischen Gebiet tätig, und das lag dem Sohn nicht, Schraubenfabrikant hätte er nicht werden wollen und können. Stattdessen investierte er nach einem Betriebswirtschaftsstudium an der damaligen HSG in ein Pharmaunternehmen und war dort schon als Geschäftsführer designiert, als ihm ein anderer die Aktienmehrheit wegschnappte. Als Reaktion auf diese unliebsame Überraschung gründete Züllig sein eigenes Unternehmen in der gleichen Branche.
Dabei leitete ihn ein weiterer früh entdeckter Wesenszug, seine Liebe zum Pflanzenreich. Pflanzen stehen denn auch am Anfang jedes Produktionsprozesses. Hergestellt werden homöopathische und phytotherapeutische Produkte wie Urtinkturen, Extrakte, Dilutionen und Medikamente.
Qualität
Von Kopf bis Fuss in steriles Plastik eingehüllt darf ich mit dem Chef einen Rundgang durch die sonst nicht zugänglichen Produktionsräume machen. Auch mir Laien wird schnell klar: Hier wird grosser Wert auf den Wert Qualität gelegt. Das fängt schon bei der Beschaffung der pflanzlichen Rohstoffe an. Wenn immer möglich werden die benötigten Pflanzen nicht angepflanzt, sondern an ihren natürlichen Standorten gesammelt, weil sie dort die beste Qualität aufweisen, und wenn es nicht anders geht, werden die Pflanzen biologisch angebaut.
Um für die Produktion optimale Verhältnisse zu bieten, wurde das ganze Betriebsgebäude nach strengen baubiologischen Richtlinien errichtet. Und fast ein Drittel der knapp vierzigköpfigen Belegschaft kümmert sich um Qualitätskontrolle. Qualität gehört ohne Zweifel zu den Grundwerten in der kulturellen DNA von Herbamed.

Gesundheit macht Sinn
Dass bei Herbamed gerne und gut gearbeitet wird, liegt sicher auch an der Branche. Hergestellt werden hier Produkte, die einen Beitrag zur Erfüllung des den meisten Menschen wichtigsten Werts Gesundheit leisten. Das erfahren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur abstrakt, sondern am eigenen Leib und im Kreis ihrer Lieben.
Das wiederum gibt der Arbeit bei Herbamed einen Sinn, und sinnvolle Arbeit ist ein immer wichtiger werdender Wert. Wer Sinn in seiner Arbeit sieht, nimmt daran engagierter Anteil. Symbolisch dafür steht das Phänomen, dass sich beim Eintreffen einer neuen Pflanzenlieferung oft viele Mitarbeitende im entsprechenden Lagerraum versammeln, um die frisch eingetroffenen Kräuter in Augenschein zu nehmen und zu beschnüffeln.
Sinnvolle Arbeit macht nicht nur mehr Spass, sie fördert auch den Zusammenhalt und damit alle Werte rund um Beziehungen. Wie Frau Garnbal glaubhaft versichert, fühlt sie sich jedes mal schon beim Betreten des Betriebsgebäudes wie zuhause, und sie scheint mit dieser Empfindung nicht allein zu sein.
Respekt, Respekt
Natürlich müsste ich tiefer eindringen, um die Richtigkeit meines intuitiven Eindrucks zu bestätigen, doch das ist nicht möglich. Also begnüge ich mich mit meiner Wahrnehmung, dass hier auch der Wert Respekt mit all seinen Teil-Werten (Respekt im Umgang miteinander sowie mit Natur und Kulturen; Zuverlässigkeit, Treue, Toleranz) hoch geschrieben wird.
Dass bei Herbamed neu entwickelte Heilmittel zunächst bei den Mitarbeitenden getestet werden, zeugt nicht nur von Respekt, sondern erzeugt auch ein Gefühl von Wertschätzung.
Mixturen
Bei den neu entwickelten Heilmitteln handelt es sich übrigens vorwiegend um Mixturen, bei denen verschiedene pflanzliche Einzelwirkstoffe so kombiniert werden, dass die Gesamtheit der Wirkungen möglichst mehr ist als die Summe der Teilwirkungen. Wie der anhaltende Erfolg solcher Präparate zeigt, wird dieses Ziel erreicht.
Mir erscheint dieses erfolgreiche Wirken als schönes Sinnbild dafür, wie hier mit einer Mixtur aus gelebten Werten nachhaltig erfolgreich gewirtschaftet wird. In dieser Mixtur haben manchmal auch exotische Werte durchaus ihren Platz: Wenn es etwa um die besonders wichtige Ausbalancierung der verschiedenen pflanzlichen Wirkstoffe geht, werden bei Herbamed schon mal Methoden angewendet, die Aussenstehenden ziemlich esoterisch vorkommen würden.
Appenzellisch
Werte zu leben, ohne darüber gross Worte zu verlieren – das erscheint mir typisch appenzellisch. Es ist also vermutlich nicht nur die lange Tradition in der Herstellung und Verwendung pflanzlicher Heilmittel im Kanton Appenzell Ausserrhoden, sondern auch die hiesige Werte-Landschaft, die zum Slogan von Herbamed geführt hat: Appenzeller Heilmittel wirken mit besonderer Kraft.
Zu den Werten, die im Appenzellerland besondere Wertschätzung geniessen, gehört sicher ein hoch entwickelter Eigen-Sinn, ein Sinn für das Eigene. Womit sich der Kreis auf der Suche nach den Werten, die bei Herbamed gelebt werden, geschlossen hätte…
Die neue Folge „Gelebte Werte“
Die Homepage spirit.ch versteht sich als Plattform für Werte-Wissen. Zu dem vielfältigen angesammelten Wissen gehört auch die Erkenntnis, dass es sich bei Werten um ein abstraktes Thema handelt, das folglich nur ein begrenztes Interesse weckt.
Fassbar werden Werte nur, wenn sie gelebt werden das heisst, wenn sie von Individuen oder Organisationen als Richtschnur für das eigene Handeln genutzt werden. Deshalb sollenGELEBTE WERTE zu einem neuen Schwerpunkt-Thema auf spirit.ch werden.
Geplant ist eine Reihe von Portraits, in denen einzelne Persönlichkeiten sowie Unternehmen oder andere Organisationen vorgestellt werden, die bestimmte Werte leben.