Blog

Von Thailand und anderen Abenteuern

Uncategorized

Der mit der Freiheit tanzt

caroni

Folge 1 von GELEBTE WERTE (*): Andrea Caroni

Der Wert Freiheit ist zentral in seinem politischen und sonstigen Tun. Und er weiss darüber trefflich zu diskutieren: der Appenzell Ausserrhoder Nationalrat Andrea Caroni.

Die renommierte deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT war in einem längeren Porträt vom 3. Juli dieses Jahres des Lobes voll: Nationalrat Andrea Caroni ist der Hoffnungsträger der kriselnden FDP. Der 34-jährige Industriespross mit Harvard-Abschluss will die Partei zu ihren liberalen Wurzeln zurückführen.

Dieser Mann ist zu viel. Matura: Notenschnitt 5,97. Jus-Studium und Doktorat mit Summa cum laude. Ein Harvard-Abschluss in Politischer Administration. Mit 28 Jahren Berater von Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Jetzt ist Andrea Caroni, 34, seit drei Jahren Nationalrat für den Kanton Appenzell Ausserrhoden, Mitglied der FDP-Parteileitung. Und seit diesem Frühling im ganzen Land bekannt, dank der Pädophileninitiative, die er quasi im Alleingang bekämpft hat.

Und dann folgt der entscheidende Satz: Caroni hat, was andere Liberale längst verloren haben: einen politischen Kompass.

Mut zu Werten

Um es gleich klar zu machen: Ich habe Andrea Caroni vor drei Jahren gewählt. Nicht wegen seiner Partei, doch da Appenzell Ausserrhoden nur einen einzigen Nationalratssitz hat, sind solche Wahlen Personenwahlen. Und der Mann hat mir schon damals gefallen.

In meiner Achtung deutlich gestiegen ist er dieses Jahr, als er als Einziger den Mut fand, sich vorne hinzustellen und die sogenannte Pädophileninitiative zu bekämpfen. Dieses Volksbegehren verlangte ein automatisches lebenslängliches Verbot, mit Kindern zu arbeiten, für alle, die jemals wegen pädophiler Delikte verurteilt wurden. Alle Umfragen zeigten, dass das Begehren im Volk populär war, tatsächlich stimmten bei der Abstimmung fast zwei Drittel dafür.

Umso mehr freute ich mich, Andrea Caroni persönlich fragen zu können, welche Werte ihm damals so wertvoll gewesen waren, dass er dafür alle Nachteile eines Einsatzes für ein unpopuläres Anliegen auf sich nahm. Um Rechtsstaatlichkeit sei es ihm gegangen, erklärt, er um das in der Verfassung verankerte Prinzip der Verhältnismässigkeit und um das Vertrauen in bewährte Institutionen.

Das, fügt er hinzu, passe zu den vier Säulen, auf denen er sein politisches Engagement aufbaue: Sorgsame Pflege der bewährten schweizerischen Formen des Zusammenlebens und dessen Institutionen. Wirtschaftsliberalismus. Gesellschaftsliberalismus. Vertretung der Interessen des Appenzellerlandes und der Ostschweiz.

Freiheit im Zentrum

caroni1

Freiheit: Sein Lebensschiff selber steuern…

Zweimal kommt hier „Liberalismus“ vor, und tatsächlich stellt Andrea Caroni den Wert Freiheit ins Zentrum. Das hat auch DIE ZEIT so gesehen: Der Kern seines Tuns ist reichlich abstrakt: Es ist die Freiheit. „Freiheit ist unteilbar“, lautet sein liebster Satz.

Freiheit hat Caroni buchstäblich mit der Muttermilch aufgesogen, wie er erzählt: Meine Mutter (die Eltern sind geschieden) hat mir so wenige Vorschriften wie möglich gemacht. Das lag sicher auch daran, dass ich selten überbordete. Einmal wollte ich mit Hilfe einer Anleitung aus einer Jugendzeitschrift, mit der der jugendliche Fernsehkonsum auf ein vernünftiges Mass beschränkt werden sollte, eine Einschränkung von ihr geradezu erzwingen, doch meine konkreten TV-Wünsche lagen weit unter dem empfohlenen Mass…

Über Freiheit lässt sich mit Andrea Caroni tiefschürfend diskutieren. Für ihn ist Freiheit der höchste Wert, doch er sieht auch die Kehrseite: Freiheit ist anstrengend. Sie erfordert Eigenverantwortung. Und sie führt, wie der Volksmund so schön sagt, zur Qual der Wahl. In meiner Jugend hatte ich ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Bis ich erkannte, dass man bei jeder freien Entscheidung alles andere verpasst. Im riesigen Meer der Möglichkeiten hat man sich für einen winzigen Ausschnitt entschieden. Dann lohnt es sich nicht mehr, dem Verpassten nachzutrauern. Besser ist es, sich ganz auf das einzulassen, wofür man sich entschieden hat.

Freiheit, wie er sie meint

Andrea Caroni versteht, dass manche Menschen lieber von der anstrengenden Freiheit entlastet würden. Und dass manche schlicht nicht die Möglichkeit haben, sie zu nutzen. Für letztere (und nur für diese) brauche es den Sozialstaat. Er vertritt also keinen rein auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichteten Neoliberalismus. Dafür ist er konsequent, wenn es um liberale Grundwerte geht: Ich verstehe nicht, wie man für eine freie Wirtschaftsordnung sein kann und gleichzeitig anderen vorschreiben will, wie sie zu leben haben. Für mich gehört zum Liberalismus ein Stück Bescheidenheit: Wer bin ich, ein allgemeingültiges Modell davon zu haben, wie die Menschen leben sollen?

Deshalb ist er für die gleichgeschlechtliche Ehe, gegen die Beschränkungen der Ladenöffnungszeiten, für die Legalisierung von Cannabis. All das ist für ihn (auch) Freiheit. Wobei er betont: Freiheit ist ergebnisoffen. Das ist das Faszinierende und Problematische zugleich an den liberalen Werten. Freiheit ist „nur“ ein Verfahren, eine Methode, das menschliche Zusammenleben zu regeln. Freiheit produziert weder automatisch Glück (doch sie erlaubt das Streben nach dem eigenen Glück) noch Gleichheit. Das unterscheidet uns Liberale von den Heilsversprechen anderer Parteien.

caroni3

Die Schweiz soll liberal sein…

Seine Partei, die Freisinnigen, führt im Namen den Zusatz „Die Liberalen“. Es scheint Caroni ein Herzensanliegen zu sein, der darin enthaltenen Botschaft wieder mehr Gehör zu verschaffen. Als Teil der Wahlkampfleitung der FDP für die Wahlen 2015 ist er mitverantwortlich dafür, dass die Partei diesmal nicht mit konkreten politischen Anliegen punkten will, sondern mit dem Verweis auf die Werte, die sie geprägt haben. Drei davon sind als plakative Botschaft ausgewählt worden: Freiheit – Gemeinsinn – Fortschritt.

Bei Auftritten an der Parteibasis, erzählt Caroni, der viele davon hat, seien die Werte „Freiheit“ und „Fortschritt“ jeweils kaum erklärungsbedürftig, wohl aber „Gemeinsinn“. Für ihn ist Gemeinsinn kein Widerspruch zu Freiheit. Zu den liberalen Grundwerten, gerade in der Schweiz, gehöre das Gefühl, für die Gemeinschaft und deren Institutionen verantwortlich zu sein – also im besten Sinne staatstragend. Wichtig ist ihm auch die Förderung von freiwilligen Einsätzen für das Gemeinwohl, etwa in Vereinen. Zum Gemeinsinn gehört für ihn aber auch, dass man auf die Segnungen des Sozialstaates verzichtet, wenn man sie nicht braucht.

Gelebte Werte

Ist Freiheit auch im Privatleben von Andrea Caroni ein wichtiger Wert? Ich versuche schon, auch den anderen möglichst viel Freiheit zu geben. Von meiner Partnerin und Mutter meiner Tochter zum Beispiel hätte ich nie eine bestimmte Form ihrer Lebensgestaltung erwartet. Wie viel sie als Mutter arbeiten will, ist ihre Sache.

Dass er davor erwähnt hat, für ihn sei es selbstverständlich gewesen, auch als Vater weiterhin vollamtlich berufstätig zu sein, schränkt in meiner Sicht die Freiheitsspielräume der Mutter etwas ein, auch wenn er das anders sieht: Wieso denn? Sie hat dieselbe Freiheit wie ich, wir könnten ja beide 100% arbeiten und das Kind 5 Tage fremd betreuen lassen. Hätte sie das gewollt, hätten wir das gemacht.

Caroni stören solche unterschiedlichen Sichtweisen nicht. Er kann mit Widersprüchen leben und glaubt nicht daran, dass Werte in Reinform gelebt werden können. Manchmal geraten auch ihm andere wichtige Werte in die Quere. Sein Ehrgeiz etwa, die Lust am Wettkampf und an der Debatte. Oder der Spass an der Freud, etwa jener, mit Parlamentskollegen zu singen und Musik zu machen.

Man könnte sagen, dass die Götter Andrea Caroni reich beschenkt haben: mit besten materiellen Startbedingungen, mit reichhaltigen und starken Talenten, mit der Gnade, keinen Erwartungen gerecht werden zu müssen, mit dem Geschenk, zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein zu können. Umso wichtiger und wertvoller ist es, dass dieser Mann sich in seinem politischen und beruflichen Tun (er arbeitet nebenbei als Rechtsanwalt) für zentrale Werte einsetzt.

Zum Schluss frage ich ihn, welche Werte nach seiner Einschätzung die Appenzeller Werte-Landschaft prägen. Die Antwort kommt ohne Zögern: Erstens ein ausgeprägter Freiheitswille. Zweitens das friedliche Zusammenleben ganz unterschiedlicher Charaktere – die Bezeichnung „än Äägne“, also ein Eigenwilliger, gar Eigensinniger, gilt im Appenzellischen als Ehrentitel. Drittens ein starker Gemeinsinn. Und viertens das Miteinander von Tradition und Fortschritt.

Es sind also auch hier die drei zentralen Werte Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt, die er seinen Liberalen (wieder) nahebringen will. Einer wie Caroni lässt sich die Gelegenheit natürlich nicht nehmen, auch mit Appenzeller Werten ein wenig Wahlkampf zu machen. So lange er diese Werte auch weiterhin so überzeugend lebt wie bisher, werde ich ihm das nicht übel nehmen…

caroni2

Die Werte des Appenzellerlands…

* Die neue Folge „Gelebte Werte“

Die Homepage spirit.ch versteht sich als Plattform für Werte-Wissen. Zu dem vielfältigen angesammelten Wissen gehört auch die Erkenntnis, dass es sich bei Werten um ein abstraktes Thema handelt, das folglich nur ein begrenztes Interesse weckt.

Fassbar werden Werte nur, wenn sie gelebt werden das heisst, wenn sie von Individuen oder Organisationen als Richtschnur für das eigene Handeln genutzt werden. Deshalb sollen GELEBTE WERTE zu einem neuen Schwerpunkt-Thema auf spirit.ch werden.

Geplant ist eine Reihe von Portraits, in denen einzelne Persönlichkeiten sowie Unternehmen oder andere Organisationen vorgestellt werden, die bestimmte Werte leben.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert