Exportschlager Lebensqualität

Neue Herausforderung für Dichter und Denker
Mit welchem geistigen Exportschlager könnte die deutschsprachige Kultur die Welt anstecken und begeistern? Eine Expertenrunde blieb ratlos. Dabei liegt die Antwort so nahe…
Aus gegebenem Anlass (Bundestagswahlen) befasste sich kürzlich in der Sendung „Scobel“ auf 3sat eine hochkarätige Expertenrunde mit dem Selbst- und dem Fremdbild Deutschlands. Dabei ging es auch um die Frage, welche Impulse Deutschland heute noch der Welt geben könnte.
Die vier Herren fanden keine Antwort. Dabei hatten sie eine solche im Verlauf der Sendung schon mal gefunden. Sie lautete Lebensqualität. Allerdings meinte die Runde damit nur etwas Spezielles. Man war sich einig, dass jene Elemente von Lebensqualität, die der Staat bereitstellen kann und muss, in Deutschland besonders hochklassig seien, die ganze Infrastruktur etwa.
Diese Diagnose gilt sicher nicht nur für Deutschland, sondern für den ganzen deutschsprachigen Raum. Der eine Charakterzug, für den dieser Kulturraum steht, nämlich die guten Eigenschaften von wahren Ingenieuren und Tüftlern, hat in der Tat hier zu Lande ein Mass an Lebensqualität geschaffen, um das man uns anderswo beneidet.
Dichter und Denker

Noch mehr deutschsprachige Ingenieurskunst also als Exportschlager, diesmal zur Hebung der Lebensqualität in Form besserer Infrastruktur und Lebensbedingungen? Ja, fanden die Herren, doch das sei nicht genug. Sie wünschten sich, auch das Land der Dichter und Denker käme stärker zum Zug und würde etwas erfinden, das sich zum leuchtenden Vorbild für die Welt eignet.
Dabei hätten sie gar nicht erfolglos in die Ferne schweifen müssen, das gesuchte Gute lag ganz nah: Lebensqualität. Lebensqualität ist nicht nur etwas für die deutschsprachigen Ingenieure, sondern auch für die Dichter und Denker dieser Sprache. Bestimmte Aspekte von Lebensqualität lassen sich messen, über andere gilt es nachzudenken.
Über das zum Beispiel worum es im Leben wirklich geht: Lebensstandard oder Lebensqualität? Über Werte, also über das, was uns im Leben wichtig ist, und worauf wir unsere zwischenmenschlichen Beziehungen aufbauen wollen. Über Identität, Orientierung und Sinn.
Ein grosser Teil dessen, worum es bei Lebensqualität geht, hängt von subjektiven Werturteilen ab: Jeder Mensch kann nur für sich entscheiden, was für ihn Lebensqualität bedeutet. Das spricht nicht dagegen, auch gemeinsam und im Austausch darüber nachzudenken, was Lebensqualität bedeutet und bedeuten könnte.
Herausforderung

Das ist eine echte Herausforderung. Der bekannte Philosoph Richard David Precht schreibt in einem bemerkenswerten Essay im SPIEGEL 37/2013 zur herrschenden Geisteslage: »Nicht die Qualität zählt, sondern Quantität. Und da Quantität leicht zu bewerten ist, bleibt das mühselige Geschäft der Urteilsbildung, die jedem Qualitätsurteil unterliegt, zumeist aus.«
Das zu ändern, könnte sich lohnen. In einer Gegend wie der unseren, die mit hoher objektiver Lebensqualität gesegnet ist, sind die Voraussetzungen gut, intensiv über die nicht messbaren geistigen Aspekte von Lebensqualität nachzudenken. Und mit geeigneten Mitteln zu erforschen, wie wir als Einzelne und als Gemeinschaft unsere Lebensqualität verbessern können.
Die Ergebnisse dieses Forschens und Denkens sind sehr wohl exportfähig. Eine möglichst gute Lebensqualität für möglichst viele könnte zu jenem neuen Ideal werden, das die Welt von der deutschsprachigen Kultur erwartet.
