Werte im Wandel

Jetzt da: die dynamische Werte-Hitparade
Wie haben sich im letzten Jahrzehnt Ihre Werte gewandelt? Das wollten wir mit der neuen Kurzumfrage herausfinden, die wir in Zusammenarbeit mit Professor Lothar Seiwert durchführen. Die Ergebnisse liegen hier in einer Kurzfassung vor.
Den vollständigen Schlussbericht mit detaillierter Auswertung nach Geschlecht und Alter können Sie hier herunterladen.
Die wichtigsten Erkenntnisse
a) Das wichtigste Gesamtergebnis
Werte werden immer wertvoller:
Alle getesteten zwanzig Werte sind in den letzten zehn Jahren wichtiger geworden, besonders aber die „Lebens-Werte“ Gesundheit, Lebensfreude, Lebenssinn, Lebensqualität und Gesundheit.
b) Das wichtigste Einzelergebnis
Die dynamische Werte-Hitparade birgt Überraschungen:
Der „unscheinbare“ Wert Zufriedenheit klettert auf das Podest der Werte-Hitparade und verweist den scheinbar viel attraktiveren Wert Glück auf die hinteren Ränge.
Hintergrund und Teilnehmende an der Studie
Im April 2013 führt die Stiftung spirit.ch in Zusammenarbeit mit Prof. Lothar Seiwert eine Online-Befragung zum Thema Werte-Wandel durch. Es ging dabei um die Erstellung einer „dynamischen Werte-Hitparade“: Für zwanzig aus früheren Befragungen ermittelte besonders wichtige Werte sollte erfasst werden, ob diese bei den Befragten in den letzten zehn Jahren an Bedeutung gewonnen oder verloren haben.
Eingeladen zur Teilnahme wurden die Empfänger des Newsletters von Prof. Seiwert, die Teilnehmenden an den letzten Umfragen zur Ermittlung der „Werte-Hitparade“ sowie die Empfänger des Newsletters von spirit.ch.
Den Kurz-Fragebogen vollständig ausgefüllt haben schliesslich 607 Teilnehmende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Dies ist eine beachtliche Teilnehmerzahl. Dazu kommt, dass die Ergebnisse sehr stabil sind: Die Schlussergebnisse unterscheiden sich von einer Zwischenauswertung mit rund der Hälfte der Teilnehmenden nur minimal. Daraus lässt sich schliessen, dass die Antwortenden dieser Studie ein sehr verlässliches Meinungsbild jener Menschen abgeben, die sich grundsätzlich für das Thema Werte interessieren.
Von den 607 Teilnehmenden sind 54% Frauen und 46% Männer. Damit liegt der Frauen-Anteil deutlich höher als bei vergleichbaren Online-Umfragen. Das bestätigt Erkenntnisse aus früheren Studien: Frauen sind tendenziell stärker am Thema Werte interessiert als Männer.
Nach Altersgruppen verteilen sich die Teilnehmenden wie folgt:
– bis 39 9%
– 40 bis 49 30%
– 50 bis 59 28%
– 60 bis 69 19%
– 70 und mehr 14%
Der jüngste Teilnehmer ist 22 Jahre alt, der älteste 93. Das Durchschnittsalter liegt bei 54 und damit über dem Bevölkerungsschnitt. Das liegt zum einen an der Altersstruktur der angesprochenen Adressaten, könnte zum anderen aber auch ein Hinweis darauf sein, dass das Interesse an Werten mit zunehmendem Alter steigt.
Nach der Art ihres Bildungsabschlusses verteilen sich die Teilnehmenden wie folgt:
– Volksschule 1%
– Berufslehre 20%
– Abitur/Matura 12%
– Fachhochschule 32%
– Universität 35%
Wir haben es also mit einem überdurchschnittlich gebildeten Publikum zu tun, wenn wir von Werten reden. Was keineswegs bedeutet, dass das Thema Werte nur Akademikern zugänglich wäre…
Die Bedeutung der 20 wichtigsten Werte
In zwei Befragungsrunden hatte spirit.ch vor dieser Umfrage die Top 20 der Werte-Hitparade ermittelt. Aus Gründen der Befragungsökonomie haben wir uns auf diese 20 Werte konzentriert, um für diese zusätzlich die Dimension der Dynamik zu ermitteln.
Zunächst haben wir jedoch nach der persönlichen Bedeutung dieser 20 Werte gefragt. Anders als in den bisherigen Befragungsrunden konnte jeder Wert auf einer Skala von 1 bis 10 eingestuft werden. Diese Frage brachte folgende Ergebnisse:

Wie leicht zu ersehen ist, sind alle Werte sehr wichtig, denn alle erreichen (gerundet) einen Wert von mindestens 8 auf der Zehnerskala. Offensichtlich sind unter den Top 20 der Werte-Hitparade wirklich nur sehr wichtige Werte vertreten.
Entsprechend gering fallen die Unterschiede zwischen Rang 1 (9.2) und Rang 20 (7.8) aus. Die Befragten verfügen eindeutig über ein breites Spektrum von sehr wichtigen Werten. Das ist ein wichtiger Hinweis: Wenn man Werte anspricht, spricht man nicht einzelne Werte an, sondern ein ganzes Bündel von (fast) gleichwertigen Werten.
Nichtsdestotrotz sind auch Differenzierungen im Nahbereich sichtbar, das heisst, es sind nicht alle Werte exakt gleich wichtig und bedeutsam. Es lässt sich innerhalb der Top 20-Werte durchaus eine Rangierung vornehmen.
Apropos Rangierung: In der zweiten Runde der Werte-Hitparaden-Ermittlung mussten die Befragten die zuvor ausgewählten zwanzig Werte rangieren, also in eine Reihenfolge der Bedeutung bringen. Die damals ermittelten Rangierungen können wir mit den jetzigen Rängen vergleichen:

Die beiden Ranglisten sind eindeutig nicht identisch, sieht man mal vom ersten (Gesundheit) und zwanzigsten (Nachhaltigkeit) Rang ab. Besonders starke Abweichungen ergeben sich einerseits bei den Werten Lebensqualität und Eigenverantwortung, die in der aktuellen Umfrage deutlich weiter hinten rangieren, und andererseits bei Zufriedenheit und Zuverlässigkeit, die deutlich besser abschneiden als bei der letzten Umfrage.
Erklärbar sind solche Abweichungen dadurch, dass wir zwar viele gleichberechtigte Werte haben, diese jedoch untereinander keineswegs konfliktfrei sind. Immer wieder müssen wir entscheiden, welcher Wert uns gerade noch wichtiger ist als die anderen. Eine Rangierung simuliert diese Konfliktsituation, indem sie zur Entscheidung zwingt, welcher Werte im Zweifelsfall vor und hinter welchem anderen rangiert.
Insofern ist die rot dargestellte Linie mit den Rängen der eindeutigen Rangierung vermutlich aussagekräftiger – wenn es denn um Ränge geht. Entscheidender ist ohnehin die Erkenntnis, dass es mindestens zwanzig sehr wichtige Werte gibt, deren Bedeutung zwar im Nahbereich durchaus differenziert, die jedoch so etwas wie eine Einheit bilden.
Werte-Wandel
Die persönliche Bedeutung einzelner Werte ist keineswegs ein Leben lang festgeschrieben. Werte-Wandel hat nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine persönliche Bedeutung. Wir haben deshalb gefragt, wie man diesen Wandel in den letzten zehn Jahren selbst erlebt hat:


Erstaunliches Fazit: Kein einziger Wert ist (natürlich im Schnitt) in den letzten zehn Jahren weniger wichtig geworden. Vielmehr sind alle Werte mehr oder weniger wichtiger geworden.
Um den Überblick zu erleichtern, haben wir eine Art „Netto-Wanderungsbewegung“ errechnet: Eine starke Veränderung ergab drei Punkte, eine schwache einen Punkt und Stabilität null Punkte, natürlich jeweils mit entsprechenden Vorzeichen. Daraus lässt sich für jeden Wert sein Dynamik-Index errechnen:

Hier wird deutlich, dass zwar alle Werte an Bedeutung gewonnen haben, aber nicht alle gleich viel. Unangefochten liegt auch hier der Wert Gesundheit an der Spitze, das heisst, Gesundheit war schon wichtig und ist noch viel wichtiger geworden.
Dahinter folgen Lebensfreude, Lebenssinn, Zufriedenheit und Lebensqualität. Zusammenfassend könnte man diese Werte als „Lebens-Werte“ bezeichnen. Es geht dabei immer um die Frage nach einem geglückten Leben und wie man dieses gestalten kann. Dieses Thema, zu dem Gesundheit ja auch gehört, hat im letzten Jahrzehnt also eine eindeutige Dynamik entwickelt.
Das kann man nicht von allen abgefragten Werten behaupten, manche wie Sicherheit oder Humor haben in den letzten zehn Jahren wenig Bedeutung hinzugewonnen. Und auch die Werte „soziale Verantwortung“ und „Gerechtigkeit“ weisen verhältnismässig wenig Dynamik auf. Über die Gründe dafür lässt sich höchstens spekulieren.
Nichtsdestotrotz lässt sich eine klare Aussage treffen: Da alle zwanzig wichtigsten Werte wichtiger geworden sind, hat das Thema Werte insgesamt an Bedeutung gewonnen.
Natürlich gilt es bei dieser Aussage zwei Relativierungen zu beachten: Zum einen haben an der Umfrage naturgemäss vorwiegend Menschen teilgenommen, die sich durch das Thema Werte angesprochen fühlen. Es handelt sich also nicht um eine Stichprobe, die für die Gesamtbevölkerung repräsentativ ist. Repräsentativ ist die Stichprobe vielmehr für jenen Teil der Menschen im deutschsprachigen Raum, die für das Thema Werte bereits sensibilisiert sind, also gleichsam für die Vorhut des Werte-Wandels.
Diese Vorhut nimmt in der Regel Entwicklungen vorweg, die sich später in breitere Kreise ausbreiten. Deshalb ist es so wichtig zu wissen, wie sie denkt und tickt. Wenn wir also erfahren, dass bei den Sensibilisierten die Bedeutung von Werten auf breiter Front gewachsen ist, können wir davon ausgehen, dass eine ähnliche Entwicklung auch ausserhalb dieser Minderheit bereits eingesetzt hat, wenn auch auf tieferem Ausgangsniveau.
Die zweite Einschränkung betrifft die Auswahl der getesteten Werte. Die Aussage, alle Werte seien wichtiger geworden, bezieht sich ja „nur“ auf die zwanzig wichtigsten Werte der früher ermittelten Werte-Hitparade. Ursprünglich betrug dort die Anzahl der einbezogenen Werte immerhin 55. Das heisst: Die jetzt ausgewählten 20 Werte sind zwar die wichtigsten aus der ursprünglichen Auswahl, doch es gibt daneben noch viele weitere Werte, die zwar nicht ganz so wichtig, wohl aber immer noch bedeutsam sind.
Vermutlich würde sich unter diesen restlichen 35 Werten der eine oder andere finden, dessen Bedeutung nicht zugenommen oder sogar abgenommen hat, doch dies würde an der Gesamtaussage, wonach Werte insgesamt wichtiger geworden sind, nichts ändern.
Innerhalb dieser Gesamttendenz gibt es weitere interessante Einzelerkenntnisse. Vor allem der Blick auf die ersten fünf Ränge der Liste mit der stärksten Bedeutungszunahme ist aufschlussreich, zumal es zwischen Rang 5 und Rang 6 einen deutlichen Abstand gibt. Den Spitzenrang nimmt mit grossem Vorsprung der Wert Gesundheit ein, was eindrücklich beweist, wie wichtig dieses Thema mittlerweile geworden ist. Dem Grundsatz „Gesundheit ist nicht alles, doch ohne Gesundheit ist alles nichts“ verdankt dieser Wert offensichtlich seinen absoluten Spitzenplatz sowohl bei der Bedeutung als auch bei der Dynamik.
Alle drei Werte mit „Lebens-„ finden sich in den Top 5 der Dynamikrangliste, also Lebensfreude, Lebenssinn und Lebensqualität. Das kann kein Zufall sein. Die Kunst, ein geglücktes Leben zu führen, steht offenkundig hoch im Kurs. Werte sind ja immer auch eine Antwort auf die Frage, worum es im Leben eigentlich geht. Und da hat sich in den letzten zehn Jahren eine Antwort immer klarer herausgeschält: um Lebensqualität, speziell um Lebensfreude und Lebenssinn.
Und offenbar auch um Zufriedenheit. Diese unscheinbare kleine Schwester des strahlenden Glücks fristete bisher ein Mauerblümchendasein. Folgt man nämlich den Schwergewichten der Ratgeber-Literatur, geht es im Leben um möglichst grosses Glück. Unsere Befragten wissen es besser, und sie können dabei auf den Erfahrungsschatz weiser Menschen aus vielen Jahrhunderten bauen: Dauerhaftes Glück ist eine Illusion. Nachhaltige Zufriedenheit dagegen ist ein ebenso lohnendes wie realistisches Ziel. Diese Erkenntnis hat im letzten Jahrzehnt offenbar eine beträchtliche Dynamik entwickelt.
Zufriedenheit spielt im Lebensqualitäts-Konzept von spirit.ch eine zentrale Rolle. Wenn wir Menschen nach dem Grad ihrer Lebensqualität fragen, können wir diese ja nicht direkt messen. Vielmehr fragen wir nach der Zufriedenheit mit der eigenen Lebensqualität, wobei wir Zufriedenheit als Abstand zwischen Erwartung und Erfüllung verstehen und deshalb fragen:
»Wenn Sie einmal die höchste Lebensqualität, die Sie für sich denken können, mit dem Wert 100 beziffern: Wie hoch ist dann Ihre derzeitige allgemeine Lebensqualität? (als Ganzes, nicht auf den jetzigen Augenblick beschränkt.) Sie können diesen Wert mit einer Zahl zwischen 1 und 100 ausdrücken.«
Zunächst wird also das eigene Erwartungs-Niveau festgelegt, dann die Zufriedenheit mit einem Prozentwert ausgedrückt. Im Schnitt liegt dieser Wert bei rund 75, das heisst, die Erwartungen an die eigene ideale Lebensqualität werden etwa zu drei Vierteln erfüllt. Diesen Wert noch weiter zu steigern, ist den Umfrage-Teilnehmenden offenkundig wichtig.