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Von Thailand und anderen Abenteuern

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Let’s make Energy!

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 2040 – eine etwas andere Zukunftsvision…

Im Rahmen der Internationalen Sommeruniversität 2010 „Audiovisuelle Kommunikation erneuerbarer Energien, Energieeffizienz und Klimafolgen“ in Karnitz, Mecklenburg-Vorpommern wurde diese Vision für das Jahre 2040 mit einer kreativen Szenariotechnik erarbeitet. Lassen Sie sich in eine mögliche Zukunft entführen…

Donnerstag, 4. August 2040 – 04.00 Uhr, Circle House, am Rande der Sahara

Leicht benommen schüttelt Juan Pablo den Kopf. Noch immer hat er sich nicht an die neue Umgebung gewöhnt. Soeben hat ihn die allmorgendliche Computerstimme im Schlafsaal mit einem angenehmen Klang geweckt. Traumfetzen erinnern ihn an seine Überreise im abgewrackten Kreuzfahrtschiff. Europa und sein ehemals geliebtes Spanien liegen fern. Doch liegt das Spanien, das er mal liebte, auch weit zurück.

„Bitte begeben Sie sich zum Frühstücksraum, das Morgenessen erwartet sie“  teilt ihm die schon fast menschliche Computerstimme mit. Wie jeden Morgen schmeckt das Frühstück, dessen Bestandteile vor allem in den Nachhaltigkeitslabors unter der Wüste ganz hier in der Nähe angebaut wurden, nicht besonders.

Auf dem Programm steht heute die Eigenenergiegewinnung auf dem Fahrrad. Früher hat er nie darüber nachgedacht, woher die Energie kommt, die er täglich verbraucht. Und eigentlich hätte es ja hier aufgrund der nahen Solarkraftwerke genügend Strom. Doch dieser tägliche Programmpunkt soll den Menschen in Erinnerung rufen, dass Energie nicht einfach bedenkenlos konsumiert werden kann. Auf dem Fahrrad erinnert Juan Pablo sich zurück an den ausschweifenden Lebensstil, den er geführt hatte. Er konnte sich ja als Banker auch alles leisten, das er haben wollte. Bis – nein daran wollte er jetzt nicht denken, nicht schon so früh am Morgen.

Mit den anderen, die hier in diesem Campus gestrandet waren, bewegen Sie sich nun Richtung Abfahrtsstation. Ein E-Mobil-Grosswagen holt  die Gruppe ab und bringt sie zum 40 km entfernten Afri-Tec III inmitten der Wüste. Beim Fahren erinnert er sich noch an das europäische Desertec-Projekt, mit dem Sie vor 30 Jahren planten, Strom aus Afrika nach Europa zu importieren. Wohl kaum jemand hätte gedacht, dass das Projekt so realisiert würde, dass die Afrikanische Union dieses Projekt komplett übernimmt und von hier den Strom nach Europa exportiert. Aber das ist bei weitem nicht das Einzige, das so noch vor 20 Jahren von niemandem gedacht wurde. Denn wer hätte den Afrikanern damals schon zugetraut, dass sie sich vereinen und unabhängig vom Rest der Welt untereinander Lösungen suchen. Aber Winnie Mandela, die Dritte hatte dieses so unterschiedliche Volk vereint. Nicht zuletzt mit ihrer Kraft ist es gelungen die Korruption auszuschalten. Das afrikanische Volk hat sich zu einer modernen und selbstbewussten Gesellschaft gewandelt.

05.00 Uhr – Dakar Soleil, Bundesstaat Senegal

Vom feinen Geruch des Kaffees geweckt, den das intelligente Haussystem IH ans Bett transportiert hat, wacht Aishaa auf. Noch nicht ganz wach freut sich die  43jährige Afrikanerin über den neuen Tag, der sicherlich wieder spannend werden würde. Sie ist jetzt schon gespannt, wie sich das Pilotprojekt entwickelt hat, dass sie heute besuchen wird und sie als hauptverantwortliche Ingenieurin mitverantwortet. Doch erst einmal aktualisiert sie das IH mit den neuesten Meldungen des Tages. Sowohl in Berlin, London, Paris als auch in Madrid gab es schwere Ausschreitungen letzte Nacht. Hunderttausende demonstrierten und rebellierten auf den Straßen der europäischen Union gegen die Hungersnot und gegen unfähige Regierungen. Aishaa hat Mitleid mit den geplagten Menschen. Sie kennt aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn man Hunger hat. Lange ist es her, sie war noch ein Kind, aber diese Erfahrung gönnt sie niemandem, auch nicht den Europäern, die Afrika über Jahrhunderte unterdrückt und ausgebeutet haben.

Nach weiteren Kurznachrichten weist sie das IH beim täglichen Briefing darauf hin, dass Sie heute Sozialinvestitionen tätigen muss, um keine Strafzinsen zahlen zu müssen. Leicht genervt nimmt sie diese Meldungen wahr, sieht sie aber auch ein, dass das System der Freiwirtschaft das Geld im Kreislauf hält und damit Arbeit für (praktisch) alle ermöglicht. Eine alte Idee, die Silvio Gsell anfangs des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Nur wurde diese nie umgesetzt, bis die Afrikanische Union die Idee wieder entdeckt hat. Das Prinzip ist einfach. Anstatt, dass man für das eigene auf der Bank liegende Geld Zinsen erhält und damit die Reichen reicher macht, zahlt man Zinsen auf das gehortete Geld und so bringen die Menschen dadurch das Geld wieder in den Kreislauf zurück, damit es arbeiten kann. Manchmal ist es für Aishaa schwierig, die richtigen Projekte zu finden, in die sie ihr Geld geben kann. Sie hat sich am Nachmittag Zeit eingeplant, geeignete Projekte zu besuchen und zu prüfen, wo das Geld am besten eingesetzt werden kann.

Sie ist schon ein bisschen spät dran und rennt darum über die energieerzeugende Treppe runter zur Haltestelle des E-Koppelsystems[1] und bestellt sich über Ihren PIC (Personal Inteligence Computer)  einen Frühstückswagen.

06.00 Uhr – Afritec III, Sahara

Juan Pablo ist bei seiner Arbeit als Parabolspiegel-Rinnenputzer. Afri-Tec III ist eine riesige Solaranlage inmitten der Wüste, eine von drei Afri-Tec Anlagen. Während Afri-Tec I und II vor allem für die Eigenversorgung Afrika’s zuständig sind, ist diese Anlage vor allem für den Export bestimmt. Afrika kam dabei sicherlich entgegen, dass Europa in den 10er Jahren begann eine Gleichstrom-Leitung durch halb Europa zu ziehen, um die verschiedenen Staaten miteinander zu verbinden und so die erneuerbare Energie, die an verschiedenen Standorten aufgrund der unterschiedlichen Sonnenstrahlung und der unterschiedlich starken Winde unregelmässig anfiel, miteinander zu verbinden.

Das Konzept ging auch lange auf, es wurde immer mehr Strom aus regenerierbaren Quellen gewonnen und die ungeliebten Kohle- und Atomkraftwerke wurden nach und nach abgestellt. Doch als der Golfstrom aufgrund der Erderwärmung drehte und sich so Europa klimatisch dramatisch wandelte, sank die Sonneneinstrahlung frappant und so ist Europa heute von Afrika abhängig, ohne dass es selbst die dringend notwendige Grundversorgung für Krankenhäuser und andere wichtige Infrastrukturen nicht sichern könnte. Strom in einem normalen Haushalt ist bereits zu einem Luxus-Gut geworden, die Energiepreise sind so hoch, dass selbst die Mittelschicht es sich nicht mehr leisten kann, Strom zu beziehen.

Juan Pablo sinniert über die alten Zeiten, Zeiten in denen er als Manager in der Satander-Bank in Saus und Braus schwelgte. Zeiten in denen er nicht darüber nachdachte, dass er mit Termingeschäften auf Nahrungsmittel den Weltmarkt-Preis beeinflusste und so Millionen Menschen nicht einmal mehr Reis leisten konnten. Es dämmert ihm auch langsam, dass er wohl nicht ungerechtfertigt im Gefängnis gelandet war. Die Bestechungsgelder, die er einigen Regierungen hatte zukommen lassen, damit diese durch zusätzlich eingeführte Zusatzzölle den Markt künstlich beeinflussten, entsprachen nicht unbedingt den ethischen Kriterien, die sich seine Bank eigentlich auf die Fahne geschrieben hatte. 5 Jahre seines Lebens hatten ihm diese Handlungen „eingebracht“, doch erst jetzt begreift er, was er da gemacht hatte. Vor einigen Monaten wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Einen Job in Spanien zu finden war chancenlos – einerseits würde wohl niemand einen Ex-Knacki anstellen, andererseits ist das Finanzsystem in der Zwischenzeit vollends zusammengebrochen. All die Investitionen in die Branche der erneuerbaren Energien produzierten wieder einmal eine riesige Blase, die mit der Änderung des Golfstromes komplett platzte und in der Folge brach das ganze System komplett zusammen. Im Unterschied zur letzten grossen Depression 2009 folgten gleich weitere Blasen wie die Kreditkarten-Blase, die eigentlich schon vor 30 Jahren hätte platzen müssen. Da er ansonsten nichts gelernt hatte, musste er auf der Strasse leben. Bei den ungewohnten Temperaturen von teils unter 0 Grad in Madrid eine echte Tortur für ihn, die ihn zur Flucht aus Europa veranlasste.

07.00 Uhr – Afritec III, Sahara

Auch Aishaa ist in der Zwischenzeit in Afri-Tec III eingetroffen und inspiziert das von Ihr geleitete Projekt. Die riesigen Ausmasse des Gebäudekomplexes beeindrucken sie immer wieder, einen solchen Akku hat die Welt noch nie gesehen. Der Traum Energie in grossen Mengen zu speichern war schon alt, aber erst jetzt konnte dank der Forschung des Speicherinstitutes in Dakar Soleil dieser Prototyp gebaut werden. Afrika ist dank konsequenter Forschung und kompromissloser Bildung mit den Jahren zum führenden Kontinent in der Innovation geworden.

Aishaa profitierte davon. Als Tochter eines Fischers hätte sie eigentlich keine Chance auf höhere Bildung gehabt, schon die Kosten für den Aufenthalt in Alt-Dakar hätte sich Ihre Familie nicht leisten können. Doch das mobile E-Learning verschaffte Aishaa eine Möglichkeit sich weiterzubilden. Dank ihres hervorragenden Schulabschlusses schaffte sie die Aufnahme an die Universität in Dakar. Ihr Austauschjahr an der Universität von Shanghai ebnete schließlich ihre weitere Karriere. Die Universität Shanghai war damals zur führenden Universität in der Welt aufgestiegen. Sie schätzt sich noch heute glücklich, die Chance erhalten zu haben.

09.00 Uhr – Afritec III, Sahara

Nach den Besprechungen in Ihrem Projektteam macht Aishaa noch einen Rundgang im Produktionsteil und trifft da auf den Feldarbeiter Juan Pablo. Irgendwie findet sie seine Art die Rinnen zu putzen erotisch und spricht ihn darum an. Das hätte sie wohl besser nicht getan… Juan Pablo erschrickt und der Kübel mit dem Putzmittel fällt auf den Boden – nicht ohne Ihre Bluse zu streifen. Das wäre zwar weiter nicht schlimm gewesen – aber Ihre Bluse fängt an zu ätzen und die Flüssigkeit hinterlässt hässliche Löcher, was bei einem der offiziell zugelassenen Öko-Putzmittel nicht der Fall hätte sein können. Starr vor Schreck beobachtet Juan Pablo Ihre Reaktion.

Aishaa kam sofort das Gerücht in den Sinn, von dem sie schon gehört hatte. Und das passte dazu, dass sie sich schon darüber gewundert hatte, wieso „ihre“ Rinnenputzer so schnell mit der Arbeit fertig waren. Tatsächlich also wurden verbotene chemische Putzmittel, die anscheinend auf dem Schwarzmarkt erhältlich waren, in ihrer Einheit genutzt. Verdattert stammelt sie ein „Aber…“ um sich gleichzeitig darüber klar zu werden, dass sie ja eigentlich die Verantwortung über diese Einheit hat. Ausgerechnet ihr musste das passieren. Eigentlich hatte sie immer auf Vertrauen gesetzt und hätte nie gedacht dass einer ihrer Arbeiter dieses Vertrauen missbrauchen würde und zu illegalen Mitteln greifen würde. Was sollte sie da machen? Eine Meldung würde wohl eher ihr als dem Arbeiter schaden. Ihr Denkapparat rattert und sie ist unfähig, das „Aber…“ weiter auszuführen. Anstatt dessen überlegt sie sich nun eine adäquate Reaktion.  Die einzige ihr vernünftig erscheinende Reaktion besteht darin, seinen Namen und seine Kontaktdaten aufzunehmen und ihn zu ermahnen.

11 Uhr, Circle House, am Rande der Sahara

Juan Pablo liegt in seinem Schlafsaal und denkt nach. Es ist Siesta, denn die Temperaturen sind ab 10 Uhr zu hoch, um der vorgesehenen Tätigkeit nachzugehen. Auch in Afrika ist die Temperatur angestiegen. In der sowieso schon heißen Sahara ist die Temperatur nochmals 5 Grad heisser, als sie es noch vor 20 Jahren war. Zudem gilt in Afrika das Konzept des dreigeteilten Tages – ein Drittel für Arbeit, ein Drittel für Eigenenergieproduktion und ein Drittel für Bildung und Projekte. Juan Pablo liegt wach und kann nicht schlafen. Und er denkt – nein, nicht an den Lapsus von vorher, sondern an die schöne Frau, die er da leider mit seinem Putzmittel bespritzt hatte. Irgendwo hat er schon Angst vor Konsequenzen, doch könnten solch schöne Augen ihm wirklich zur Gefahr werden? Er stellt sich in Gedanken vor, mit Ihr im Vibrationshotel Energie zu produzieren. Ja selbst in diesen Intim-Bereichen haben die Afrikaner Energiegewinnungsanlagen in Form einer Matratze entwickelt. Irgendwie amüsiert Juan Pablo die Idee, das Erotische mit dem Nützlichen zu verbinden – vor allem bei dieser Frau würde dies natürlich doppelte Freude produzieren…

11 Uhr, Arbeitswagen im E-Koppelsystem zwischen Afritec III und Dakar Soleil

Aishaa fährt in einem Arbeitswagen, den sie bestellt hatte, zurück. Sobald ihr PIC mit dem Arbeitswagen verbunden ist, ist sie voll arbeitsfähig, ein Büro gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Ist ja eigentlich auch ganz praktisch, da dadurch viel Zeit gespart werden kann. Irgendwie laßen sie die Gedanken an Juan Pablo nicht mehr los. Sie interessiert genauer, wer er war und gibt seinen Namen ins System ein. Und erschrickt, als sie feststellte, dass sie über ihn keine weiterführenden Informationen findet, dass er also ein sogenannter Weissarbeiter ist. Ein weiterer Lapsus, der ihr also passiert ist, denn eigentlich dürften in ihrer Abteilung keine Flüchtlinge angestellt werden, deren Identität nicht geprüft ist. Wie peinlich… warum nur musste ihr das passieren? Und das noch dazu bei einem Mann, der ihr eigentlich ganz sympathisch ist. Irgendwie hat sie da ein Problem, dass sie aus der Welt schaffen muss. Um dieses zu lösen gibt es nur ein Weg – sie muss ihn treffen, um diese Themen zu klären und ihn so nachträglich legalisieren.

Dabei kommt ihr der Gedanke an Ihre eigene subversive Zeit, an die Zeit, als sie als Studentenführerin politisch aktiv war. Als die Fischer in Senegal begannen aufzustehen und ihre Rechte einzufordern. Wenige von ihnen hatten noch Arbeit, weil die Europäer die Fischgründe leergefischt hatten, auch ihr Vater gehörte zu den Aufständischen. Die Regierung damals wollte partout nichts gegen die Europäer unternehmen, weil sie dermassen korrupt waren und die Gelder einstrichen, damit sie nichts gegen das Vorgehen der Europäer sagten. Sie setzte sich als Studentin dafür ein, dass die Regierung endlich handelt und machte sich damit nicht nur Freunde. Allerdings wäre der Aufstand wohl im Sande verlaufen, wenn nicht gleichzeitig Winnie Mandela, die III. die Afrikaner radikalisiert hätte und Ihnen einen Weg aufzeigte, sich selbstbewusst Ihre Rechte einzufordern. Dadurch wurde auch die Mittelschicht sensibilisiert und so gelang es Ihnen tatsächlich Druck auf die Regierung auszuüben. Das Resultat war die Einführung des Grundeinkommens in Senegal, unabhängig davon, ob jemand arbeiten konnte oder nicht. Und das war damals schon ein ziemlicher Erfolg, denn Senegal war weltweit erst das zweite Land, das das Grundeinkommen einführte. Das dies gleichzeitig ein wirtschaftlicher Katalysator war, der die Innovation im Land massiv förderte und so Senegal zu dem machte, was es heute ist, hatten sie damals noch gar nicht zu denken gewagt. Als Studenten feierten sie einfach diesen Erfolg und waren zufrieden etwas erreicht zu haben.

12 Uhr, Integrations- und Empowerment Centre IEC, White House Campus

Juan Pablo trifft wie jeden Tag im IEC ein, da Afrika die Flüchtlinge nicht wie früher Europa nicht nur als Last sondern auch als Chance ansahen. Viele Flüchtlinge hatten eine gute Bildung und könnten für Afrika wertvoll sein. Die Idee hinter dem IEC war, dass die Menschen in die afrikanische Gesellschaft integriert werden, um so einen Beitrag zu leisten. Ein Teil davon war die sogenannte Trauma-Arbeit, um die Flüchtlinge fit für positive Gedanken zu machen. Viele haben Schlimmes erlebt und dies galt es zu verarbeiten.

Auch Juan Pablo hat seine Geschichte. Nicht nur seine Zeit im Knast ist für ihn belastend, nein viel mehr beschäftigt ihn, dass in der Zeit, in der er einsass, seine Frau bei einer Flutkatastrophe umkam. Er konnte ihr nicht mal helfen, da er ja nicht vor Ort war und er machte sich grauenhafte Vorwürfe. Auch konnte er danach seinen 3 Kindern nicht helfen, die aufgrund der fehlenden elterlichen Gewalt einfach fremdplatziert wurden – er wusste nicht einmal wo und erhielt diese Information auch nach seiner Entlassung nicht, da er als ehemaliger Strafgefangener kein Anrecht auf elterliches Sorgerecht hat. In der Trauma-Arbeit geht es darum, seine Geschichte aufzuarbeiten.

Nach einer Stunde Trauma-Arbeit findet er sich ein zum Businessplan-Workshop. Jeder Flüchtling hat die Möglichkeit Mikrokredite zu beantragen, um sich selbstständig eine kleines Geschäft aufzubauen. Juan Pablo hatte schon bei seiner Flucht, die über die kanarischen Inseln führte, dort eine spannende Frucht entdeckt. Diese Frucht möchte er importieren und sie in den hängenden Gärten von Dakar-Soleil anbauen. Die hängenden Gärten dienen in dieser Pionierstadt zur Eigenversorgung und eine weitere Frucht war eine Abwechslung im Speiseplan.

Danach steht Energie-Squash zur Eigenenergie-Produktion auf dem Tagesplan. Auch damit soll wieder das Bewusstsein gefördert werden, dass man erst produzieren und dann konsumieren soll. Zudem war es gleichzeitig körperliche Fitness und – er musste zugeben – auch Spass. Der Energie des Balles der da auf der Wand mit voller Energie auftraf, wird dabei abgenommen und transformiert. Auch hier wieder eine Innovation, die in Dakars Universitäten erfunden wurde und als erstes natürlich mit den Flüchtlingen getestet wurde.  Juan Pablo ist irgendwie schon beeindruckt, welche Kreativität diese Afrikaner in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hatten. Noch in seiner Jugendzeit (er wurde 1991 geboren) galten die Afrikaner als wenig intelligent und fast etwas faul.

13 Uhr – Social Innovation Centre, Dakar Soleil

Aishaa hatte schon am Morgen einen Termin im Social Innovation Centre abgemacht, denn sie wollte ja vermeiden, dass sie Strafzinsen zahlen musste. Doch irgendwie betrachtet sie heute die Projekte, die sie besichtigt, nur halbherzig – ihre Gedanken waren bei Juan Pablo und ihren Missgeschicken. Schade eigentlich, denn seit ihrem letzten Besuch waren wieder einige an und für sich spannende Projekte entstanden. Die Entscheidungen, wo sie Geld in den Kreislauf einbringen will, macht sie heute eher aus dem Bauch als mit der Vernunft, in der sie sonst diese Projekte prüfte. Das stört freilich die, denen das Geld zukam wenig. Seit diese Zentren den Arbeitslosen ermöglichen, sich mit unorthodoxen Ideen eine Existenz aufzubauen ist die Arbeitslosenquote massiv gefallen. Gewiss bei dem in Senegal heute dominierenden Systems des Grundeinkommens ist die Quote derer, die keine Arbeit haben weniger zentral. Doch für die Psychohygiene ist es trotzdem wichtig Arbeit zu haben, die akzeptiert wird, auch wenn man finanziell dies nicht unbedingt benötigen würde. Und für diese Arbeit braucht es etwas Kapital, dass über das Grundeinkommen hinaus geht. Ein beliebte Möglichkeit für die Senegalesen ihr Kapital abzubauen und so Strafzinsen zu vermeiden. Aishaa liebt auf jeden Fall dieses Zentrum, da es immer wieder Raum bot für wirklich ausserordentliche Ideen.

Beim Besuch und auch anschliessend bei der Rückfahrt plagt sie jedoch der Gedanke an Juan Pablo und Ihre Missgeschicke und so wählt sie spontane die PIC-Nummer, die sie von ihm erhalten hatte, um ihn nach Dakar-Soleil zu „bestellen“ (er war ja schliesslich ihr Untergebener). Seine Stimme scheint überrascht, aber einem Treffen nicht abgeneigt – im Gegenteil sie hat schon fast den Eindruck, er freut sich über die Einladung für das Treffen. Sie ist jetzt schon gespannt auf das Treffen – und dabei spielen die beruflichen Aspekte wohl weniger eine Rolle…

16 Uhr – China Town, Dakar-Soleil

Um Juan Pablo zu treffen, hat Aishaa natürlich einen Ort ausgewählt, an dem sie möglichst unerkannt bleibt, denn sie will ja ein Gespräch führen, bei dem sie nicht riskieren will, dass sie erkannt wird und ungewünscht Ohren zuhören. Und da war natürlich China Town ein geeigneter Ort. Natürlich war die China Town in Senegal nicht so strukturiert wie dies vor 30 Jahren in Europa oder Amerika der Fall war. Hier fand man nur wenige chinesische Restaurants, dafür aber umso mehr Banken. Da China damals begann in Afrika zu investieren, siedelten sich vor allem Finanzdienstleister an. Dies gab den geeigneten Rahmen für ein diskretes Gespräch unter 4 Augen und dabei lernt sie Juan Pablo und seine ganze Geschichte im Detail kennen. Trotz der wenig ehrenvollen Vergangenheit war Juan Pablo ein sehr sympathischer Mensch – sie ist fasziniert von seiner eher fremden Welt und seinem Schicksal.

Stunden vergehen, Juan Pablo erzählt Aishaa von seinen Gedanken und Ideen und sie erzählt ihm aus ihrem Leben. Das Interesse aneinander wächst von Stunden zu Stunde.

Irgendwann bringt Aishaa den Vorschlag, doch gemeinsam an die Energy Dance Night im „Positive Vibrations Club“ zu gehen und damit das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Denn die Bewohner von Dakar Soleil sind verpflichtet, mindestens einmal in der Woche Ihre Energie beim Tanzen zu erzeugen. Einerseits fördert dies wiederum die Eigenenergieproduktion, andererseits kann durch das Tanzen eine alte afrikanische Tradition bewahrt werden.

Der Abend im Club gefällt den beiden – sie kommen sich immer näher. Die afrikanische Musik, der Beat und die ekstatischen Bewegungen lassen die beiden hinschmelzen und irgendwann stellt Aishaa endlich die entscheidende Frage, nach der sich Juan Pablo schon seit dem Morgen gesehnt hatte:

„Let’s make Energy?“

(…und wenn sie nicht gestorben sind, dann produzieren sie auch heute noch gemeinsam Energie, die sich hoffentlich immer noch erneuert…)

 

Der Text wurde verfasst von: Ingo Bever, Christian Engweiler, Julia-Lena Reinermann, Christine Rohrer, Kilian Rüefer, Jens Schefer


[1] Das E-Koppelsystem wurde 2015 erfunden und funktioniert so, dass 2-Personen Fahrzeuge mit Magnetkoppelung hinten und vorne anhand von GPS-Daten zu Konvois zusammengekoppelt werden. Dadurch verbrauchen Sie weniger Beschleunigungs- und Bremsenergie. Jede Einheit ist mit Solarzellen ausgestattet. Auf Überlandstrassen wird eine Art Strassenlokomotive mit einer grösseren Batterie vorgeschaltet, um die Reichweite der Einheiten zu erhöhen.

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