Zeiten-Wende 2011?

Nach- und Vordenkliches für das Jahr 2011
Das mit der Zeiten-Wende brauchen wir nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Oder doch? Lebensqualität ist auch eine Frage der passenden Orientierung in der Zeit. Und da spielen sich spannende Entwicklungen ab – eben eine richtige Zeiten-Wende…
Vor einem Jahr haben wir zum Jahreswechsel Das Jahrzehnt des Bewusstseins-Wandels ausgerufen. Da streng mathematisch gesehen das neue Jahrzehnt erst am 1. Januar 2011 beginnt, lässt sich der Wahrheitsgehalt dieser Prognose noch nicht überprüfen – wir haben noch ein Jahrzehnt Zeit…
Fast noch marktschreierischer klingt der Begriff „Zeiten-Wende“. Eine solche wurde schon oft ausgerufen, aber selten realisiert. Doch man kann diesen Begriff auch anders interpretieren, nämlich als Wende in unserem Verhältnis zur Zeit. Oder, noch besser, zu deren Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In diesem Verhältnis gibt es sehr wohl Entwicklungen, ja sogar eigentliche Wende-Tendenzen.

Das zeigt ein Rückblick auf das Jahr 2004. Damals stellte ich SensoNet, dem Vorläufer-Projekt von spirit.ch, einige Fragen zu diesem Thema. Und stellte zugleich einige grundsätzliche Überlegungen dazu an:
Zeit-Orientierung und Lebensqualität
Zu Beginn erschien die Anfrage harmlos: »Könntest du mal etwas über den Retro-Trend machen ?«, wollte Matthias Horx, mein geschätzter Kollege von der Zunft zur Zukunft, wissen. Diese Frage ließ sich übersetzen in „Welche Zukunft hat die Vergangenheit ?“, doch diese Frage zu stellen, hieß für mich, sie alsbald zu erweitern um die Fragen nach der Zukunft der Gegenwart und der Zukunft. Und damit begann ein geistiges Abenteuer der besonderen Art.
Zunächst erscheint die Frage, wie sich die Menschen in der Zeit orientieren, reichlich abstrakt, höchstens geeignet als Futter für Philosophen: »Solange ich nicht darüber rede, weiß ich, was die Zeit ist, doch sobald ich darüber reden will, weiß ich es nicht mehr“ – so etwa die Erkenntnis des heiligen Augustinus.
Meine intensive Beschäftigung mit dem Leitwert Lebensqualität hatte mir jedoch mittlerweile eine neue Erkenntnis eröffnet:
Die Orientierung in der Zeitdimension ist ein wichtiges Element von Lebensqualität.
Als Wesen, die in Raum und Zeit leben, brauchen wir Menschen nicht nur einen für uns passenden Ort im Raum, sondern auch eine passende Orientierung im Strom der Zeit.
Während der Raum für uns stabil wirkt, wissen wir alle, dass die Zeit fließt und sich dadurch für unser Empfinden aufteilt in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Orientierung im Zeitstrom ist deshalb vor allem eine Frage der Perspektive: Woran orientieren wir uns primär, an Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft ? Welche dieser Zeiten spricht uns am stärksten an ? Aus welcher beziehen wir am ehesten Energie und Inspiration ? Welche ist gleichsam unsere Basis-Zeit ?
Von der Wahl der passenden Basis-Zeit hängt die eigene Lebensqualität entscheidend ab. „Passend“ ist dabei sowohl individuell gemeint (passt die gewählte Basis-Zeit zu meiner Persönlichkeit ?) als auch kollektiv: Passt meine gewählte Basis-Zeit in den kollektiven Strom des Zeitgeistes, oder bin ich damit isoliert ?

Zeit-Orientierung ist wandelbar
In den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts etwa musste sich jemand, der sich vorwiegend an der Vergangenheit orientiert, ziemlich isoliert vorgekommen sein. Der vorherrschende Zeitgeist beschäftigte sich damals nämlich überwiegend mit den gleißenden Verheißungen der Zukunft. Die Neunziger waren ein Jahrzehnt der Zukunfts-Orientierung.
Die Achtziger Jahre dagegen orientierten sich vorwiegend an der Gegenwart. Lifestyle war das dominante Thema, und das wiederum hatte weder mit der Vergangenheit noch mit der Zukunft viel zu tun.
Noch einmal anders können wir die Siebziger Jahre charakterisieren: Damals stand – jedenfalls im deutschsprachigen Kulturraum – die Auseinandersetzung mit den Sünden der Vergangenheit im Zentrum, und die diesen gegenüber gestellten alternativen Utopien lassen sich aus der Distanz allesamt als rückwärtsgewandt erkennen. Es dominierte also in jeder Hinsicht die Orientierung an der Vergangenheit.
Aus diesem notgedrungen allzu gerafften Überblick lässt sich die Erkenntnis ableiten:
Zeit-Orientierung ist sehr wohl wandelbar.
Die Vorlieben für eine bestimmte Basis-Zeit können sich ändern. Woraus sich für uns neugierige Zeitgenossen natürlich sofort die nächsten Fragen ergeben: Wo stehen wir heute ? Und:
Welche Zeit-Orientierung ist für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu erwarten ?

Dieser Frage wollte spirit.ch im Jahr 2011 und darüber hinaus nachgehen und die Antworten darauf mit den Antworten aus dem Jahr 2004 vergleichen. Sie finden diesen Vergleich der empirischen Daten hier.
Die Studie von 2004 hatte eine klare Aussage gebracht, wie die folgende Zusammenfassung von damals zeigt – und diese Aussagen nach wie vor gültig:
Schon bald wieder vergessen ist die angebliche Zeitenwende beim Eintritt in ein neues Jahrtausend. Dabei hat sich in den letzten Jahren in den Tiefen des kollektiven Bewusstseins eine viel fundamentalere Zeiten-Wende abgespielt: Waren die Neunziger Jahre noch ganz auf Zukunft eingestellt, so leben wir jetzt im Zeitalter der Gegenwart.
Doch diese Gegenwart schließt Vergangenheit und Zukunft mit ein. Die Zukunft gehört der Fließzeit, erlebt als evolutionärer Zeitstrom, in dem die Grenzen zwischen gestern, heute und morgen durchlässig werden.
Die Lebensqualität der Menschen von morgen ist eng gekoppelt mit dieser neuen Zeit-Orientierung.
