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Warum Lebensqualität reift

terz0810

Interview des terzMagazins vom August 2010 mit spirit.ch-Initiant Andreas Giger

Dieses Interview erschien im terzMagazin Nr 4 vom August 2010. Die terzStiftung und spirit.ch sind offizielle Partner.

Warum Lebenskunst erst im reiferen Alter auf ihrem Höhepunkt ankommt

Interview: Dr. Thomas Meyer, Redaktion terzMagazin

Im Interview mit dem Initiator und Vordenker von spirit.ch, der Internet-Plattform für nach­haltige Lebensqualität, wollen wir klären, was unter Lebensqua­lität zu verstehen ist. Eine enge Definition kann es nach dem Verständnis von Dr. Andreas Giger nicht geben. Aber ein Gespür für den Grad der eigenen Lebensqua­lität, die sich aus 16 einzelnen Gebieten, so genannten «Sphären», zusammensetzt.

Herr Dr. Giger, können Sie die wichtigsten Lebensqualitäts-Sphären angeben und kurz charakterisieren, sodass den Leser/-innen klar wird, was wir im terzMagazin mit «Lebensqualität« meinen?

Lebensqualität lässt sich deshalb nicht all­gemein gültig definieren, weil sie für jedes Individuum etwas anderes bedeutet: Lebens­qualität kann man nicht definieren, wohl aber spüren und empfinden. Hingegen lässt sich Lebensqualität für jeden Menschen in einzelne Lebensqualitäts-Sphären differen­zieren. Innerhalb dieser Sphären stellen sich für alle Menschen dieselben Fragen, etwa in der Sphäre «Raum« die Frage, welcher Wohn­ort am meisten zur eigenen Lebensqualität beiträgt. Je nachdem, ob man eher zu den Stadtmäusen oder den Landmäusen gehört, fällt die Antwort auf diese Frage natürlich unterschiedlich aus.

Im Modell von spirit.ch unterscheiden wir sechzehn Lebensqualitäts-Sphären. Dazu ge­hören etwa »Gesundheit« (körperlich, geistig, seelisch), »Tun« (Arbeit – bezahlte und frei­willige, Aktivität, Kreativität, Leistung, Wir­kung), »Beziehungen« (Liebe, Familie, Freund­schaft), »Eigenes« (Selbstverwirklichung, Treue zu sich selbst) oder »Lebensfreude« (Glück, Genuss, Freude, Abwechs­lung).

Neben »Raum« und »Zeit« gibt es verschiedene Sphären, die sich um bestimmte Werte herum gruppieren: Echt­heit, Respekt, Offenheit, Reifung, Sinn. Aber auch »Materie« (Einkommen, Besitz, Konsum, Güter) und »Stabilität« (Tradition, Sicherheit, Kontrolle) bilden jeweils eine Lebensquali­täts-Sphäre.

Gleichsam übergeordnet ist die Sphäre »Le­bens-Kunst«, denn hier geht es um den Sinn für das richtige Mass, um die Balance zwi­schen den Lebensbereichen und um die In­tegration aller Lebensqualitäts-Sphären, was für die generelle Lebensqualität entschei­dend ist.

Optimierte Lebensqualität statt des maxi­mierten Wohlstands – können Sie viel­leicht diesen Gedanken weiter ausfüh­ren?

Lebensstandard, das heisst Einkommen und Besitz, ist eine nach oben offene Skala: Theoretisch lässt sich Lebensstandard immer weiter steigern, weshalb eine faktische Steigerung immer nur kurzfristig zufriedener macht, ehe einem schon wieder bewusst wird, dass ja noch mehr möglich wäre. Lebensstandard lässt sich immer weiter ma­ximieren, das heisst, die Dosis lässt sich immer weiter steigern. Deshalb hat die Fixie­rung auf den Lebensstandard Sucht-Charak­ter: Man braucht immer mehr für denselben Effekt.

Qualität dagegen hat eine obere Grenze, mehr als ideale Qualität gibt es nicht. Dieser Grenze können wir uns annähern, auch wenn wir sie nie ganz erreichen. Lebensqualität lässt sich also »nur« optimieren. Bei der Op­timierung unserer Lebensqualität können wir das Gefühl entwickeln, am Ziel angekommen zu sein, was beim Lebensstandard nie möglich sein wird, weil dort im Sinne von «immer mehr» das Ziel immer weiter hinaus­geschoben wird.

Bezieht sich die Verantwortung für die Lebensqualität nur auf uns oder auch auf die Verantwortung für andere? Gehört die Verantwortung für andere zur eigenen Lebensqualität?

Natürlich sind wir für unsere eigene Lebens­qualität primär selbst verantwortlich – aber ebenso natürlich auch nicht ganz allein. Und umgekehrt gehört zur persönlichen Lebens­qualität tatsächlich auch die Verantwortung für andere, denn es gibt keine eigene Le­bensqualität ohne die anderen. Deshalb ist «Nachhaltigkeit« eine eigene Lebensquali­täts-Sphäre, und dazu gehören die Umwelt­-Verantwortung für die nächsten Genera­tionen ebenso wie soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Menschenrechte.

Lebensqualität soll ein Leitwert sein. Wenn jemand also überhaupt werte­orientiert leben will, sollte er das ausgerichtet am Wert «Lebensqualität« tun. Was qualifiziert Lebensqualität, Leitwert zu sein?

Lebensqualität ersetzt die anderen Werte nicht, sondern fasst sie zusammen: Lebens­qualität ist gleichsam das Zentrum eines ganzen Werte-Universums (siehe auch Lebensqualitäts-Sphären). Der »Leit«-Wert Lebensqualität ist also nicht der kleinste, sondern der grösste gemeinsame Nenner aller möglichen Werte.

Zudem ist Lebensqualität ein wunderbarer Massstab für die eigene Lebensgestaltung: Verbessert sich meine Lebensqualität, bin ich auf dem richtigen Weg, verschlechtert sie sich, ist das ein Alarmzeichen.

Gibt es begründete Vermutungen zum Verhältnis von Lebensqualität und finan­zieller Sicherheit? Eine eigene Unter­suchung zu »Geld und Lebensqualität« steht ja wohl noch aus, aber lässt sich auch ohnedies dazu etwas sagen?

Wenn man nach der Bedeutung jeder Sphäre für die eigene generelle Lebensqualität fragt, finden sich die Sphären «Materiell und »Stabilität« am Schluss der Rangliste. Sie sind beim Stichwort »finanzielle Sicherheit« an­gesprochen. Aber das heisst nicht, dass sie ganz ohne Bedeutung wären: Fehlende materielle Sicherheit kann ein hochwirk­samer Lebensqualitäts-Killer sein. Geld allein macht bekanntlich nicht glücklich – aber eben auch keineswegs unglücklich…

Unsere Ergebnisse bestätigen jene der »Glücksforschung«: Ein bestimmtes Mass an materiellem Lebensstandard braucht es, was darüber hinausgeht, trägt nicht mehr nach­haltig zur Lebensqualität bei. Und wer sich zu viel und zu einseitig mit der Sphäre der Materie beschäftigt, läuft gar Gefahr, seine Lebensqualität zu verschlechtern.

Was bedeutet für Sie persönlich Lebens­qualität im Alter, Herr Dr. Giger, was ist Ihnen für später das Wichtigste von allem Angesprochenen?

Für mein (zunehmendes) Alter (schliesslich bin ich schon 59) wünsche ich mir eine Bestätigung meiner These, wonach Lebens­qualität bis ins hohe Alter besser werden kann. Diese These, die von einer kürzlich auf www.spirit.ch publizierten Studie bestätigt wird, besagt, dass zwar die körperliche Ge­sundheit abnimmt. Doch alle anderen re­levanten Lebensqualitäts-Dimensionen wie geistig-seelisches Wohlbefinden, Selbstver­wirklichung, Sozialkompetenz, Fähigkeit zu Masshalten und Balance, Lebenskunst und Sinn-Findung finden ihren Höhepunkt in der Lebensphase zwischen 50 und 80. Per­sönlich gehe ich davon aus, dass für mich mit zunehmendem Alter die Bedeutung der Lebensqualitäts-Sphäre «Sinn» besonders wachsen wird, während mich die Sphäre «Reifung» hoffentlich bis an mein Ende begleiten wird.


 

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