Reife Schweiz – Umfrage
6. Reife Politik: eine Frage der Werte
Am Schluss des letzten Kapitels haben wir gesehen, dass eine verstärkte Teilnahme von Menschen der reiferen Jahrgänge die Politik besonnener, menschlicher, nachhaltiger, ja weiser machen könnte – mit einem Wort: reifer.
Damit wird klar: Reife Menschen haben nicht nur spezifische Interessen und Anliegen in die Politik einzubringen, sondern auch eigene Werte. Reife Werte eben. Diesem Aspekt von Reifer Politik widmeten sich einige spezielle Fragen: Welche Werte – vor allem solche des Umgangs miteinander – bilden das, was man Reife Politik nennen könnte? Und wie gut sind diese Werte in der heutigen Politik vertreten?
6.1. Welche Elemente gehören zu einer Reifen Politik?
Zunächst wurde folgende Frage gestellt:
Apropos reife Politik: Reife Politik kann, unabhängig vom Alter der Akteure, auch eine bestimmte Art, Politik zu betreiben, bedeuten. Was macht für Sie persönlich eine solche Reife Politik aus? Gehören diese Elemente für Sie dazu?

Alle sieben abgefragten Werte einer Reifen Politik gehören nach Meinung einer deutlichen Mehrheit unbedingt dazu. Dabei erreicht der Wert „Respekt“ nicht nur die Spitzenposition. Er steht vielmehr auch als Titel über allen anderen Werten. Reife Politik ist also eine andere Art des politischen Umgangs miteinander, die auf echtem gegenseitigem Respekt basiert.
Wenn wir jeder Antwort „gehört unbedingt dazu“ einen Punktwert von 3 geben, und jeder Antwort „gehört auch noch dazu“ einen solchen von 1, und wenn wir dann die Punktwerte aller sieben Werte addieren, ergibt dies eine Skala von 0 bis 21. Diese Skala können wir in sechs ungefähr gleich grosse Teile zusammenfassen. Wir haben dann eine Skala, die von 1 bis 6 reicht, wobei 1 heisst, dass die betreffende Person keinen der sieben Werte unbedingt bei einer Reifen Politik dabei haben möchte, und 6, dass diese Person alle sieben Werte unbedingt dabei haben will.

Nur zwischen den Geschlechtern gibt es einen deutlichen Unterschied: Für Frauen sind reife Werte in der Politik noch wichtiger als für Männer. Berücksichtigen wir dies, müsste der totale Durchschnittswert eher bei 4.3 liegen. Das verstärkt noch den Eindruck, dass der Bedarf nach einer Reifen Politik stark ausgeprägt ist.
Beeinflusst die Nähe oder Ferne zu einer Partei diese Frage? Wir können das beantworten, indem wir die beiden polaren Gruppen der Partei-Nahen und Partei-Fernen miteinander vergleichen (Mittelwerte-Vergleich). Die Ergebnisse sind überraschend:

Bei fünf Parteien gilt: Grössere Sympathien für die Partei bedeuten auch ein grösseres Gewicht der Reifen Werte in der Politik. Nur bei zweien, nämlich FDP und SVP, ist es deutlich umgekehrt: Wenn man für diese Parteien ist, bedeuten einem Reife Werte in der Politik nur unterdurchschnittlich viel.
Diese interessanten Differenzierungen sollen uns nicht den Blick auf das Hauptergebnis trüben: Reife Werte in der Politik sind hochgradig gefragt.
6.2. Reife Politik in der Schweiz: Ist- und Soll-Zustand
Nachdem die Befragten mit obiger Frage ihr Idealmodell von einer Reifen Politik gleichsam selbst gebildet hatten, folgten drei zusätzliche Fragen:
Ist-Zustand: Wenn Sie jetzt mal Ihre Idealvorstellung von Reifer Politik mit 10 beziffern: Wo steht da die heutige reale Schweizer Politik?
Wünschbarkeit: Für wie wünschbar halten Sie es, dass sich dieser Wert in Sachen Reifer Politik in der Schweiz markant verbessert? (1=höchst unerwünscht, 10=hochgradig wünschbar).
Wahrscheinlichkeit: Und für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Schweiz in den nächsten zehn Jahren markante Fortschritte in Richtung Reifer Politik macht? (1=kommt sicher nicht, 10=kommt sicher)
Am deutlichsten sind die Ergebnisse, wenn alle drei Antwort-Werte direkt miteinander verglichen werden können:

Die Ergebnisse sind eindeutig:
– Der aktuelle Wasserstand an Reifer Politik ist deutlich suboptimal.
– Der Wunsch nach einer Reiferen Politik ist überdeutlich.
– Das Vertrauen, dass es dazu von selbst kommt, ist mehr als mässig.
Der Befund ist also klar: Es gibt einen grossen ungedeckten Bedarf nach Reifer Politik. Und dieser Bedarf wird nicht von selbst gedeckt werden.
6.3. Parteien und Reife Politik
Da wir auch bei der Frage nach Reifer Politik im Sinne von reifen Umgangsformen wissen wollten, ob und wie die Parteien unterschiedlich wahrgenommen werden, haben wir diese Frage gestellt:
Wie stark verkörpern für Sie die einzelnen Parteien in der Schweiz das Ideal einer reifen Politik? (1 heisst „nicht im geringsten“, 10 heisst „voll und ganz“)
Hier werden zunächst die von jeder Partei erzielten Durchschnittswerte auf der Zehner-Skala gezeigt:

Die Werte von sieben der acht Parteien unterscheiden sich praktisch nicht voneinander. Zudem liegen sie ziemlich genau der Höhe des Werts für die allgemeine Beurteilung des Ist-Zustands in Sachen Reife Politik. Da wie dort muss von unbefriedigenden Werten gesprochen werden, was natürlich für die SVP noch sehr viel stärker gilt. Wenn wir jetzt statt der Durchschnittswerte eine Einteilung in drei Gruppen verwenden, erklärt sich dieser schlechte Wert der SVP:
Unterschiedlich gross sind nicht die Gruppen, die eine Partei als reif bezeichnen – bei allen Parteien handelt es sich dabei nur um eine kleine Minderheit. Der Unterschied liegt im Anteil derjenigen, welche die Partei als unreif bezeichnen, und dieser Anteil ist im Falle der SVP extrem hoch.
Das könnte natürlich daran liegen, dass die SVP stark polarisiert und entsprechend viele Gegner hat, die ihr dann gerne Unreife bescheinigen. Wir haben deshalb die entsprechende Frage differenziert nach Partei-Nahen und Partei-Fernen:

Tatsächlich bescheinigen die Gegner der SVP dieser Partei besonders häufig grosse Unreife. Umgekehrt sind die Anhänger der SVP besonders überzeugt davon, ihre Partei sei eine reife Partei. Hier klaffen also Welten zwischen Selbst- und Fremdbild.
Umgekehrt fällt auf, wie wenig selbstsicher bezüglich des Reifegrads ihrer Partei die Anhänger der grossen alten FDP sind. Ob diese Anhänger gar keine reife Partei wollen, oder ob sie bei dieser Beurteilung einen Hauch von Realismus einbringen, muss allerdings offen bleiben.
Insgesamt muss festgestellt werden: Alle Parteien in der Schweiz haben, was ihren Reifegrad betrifft, gewaltigen Nachholbedarf…
6.4. Reife und unreife PolitikerInnen
Für beides wurden zwar viele Namen angeführt, doch basiert die Auswahl offenkundig primär auf persönlichen und politischen Zu- bzw. Abneigungen – viele Namen tauchen denn auch in beiden Listen auf. Um persönliche Verunglimpfungen zu vermeiden, verzichten wir deshalb auf den Abdruck dieser Listen.